Traumkristalle
ein wenig in der Geschichte der Wissenschaften umzusehen. Adieu, Herr –’
,– Pythagoras’, sagte ich und ging.
Ich begab mich direkt hierher; denn wo sollte ich die Weisheit noch suchen? Um aber nicht ganz unverrichteter Sache heimzukehren, habe ich noch ein letztes Mittel probiert, indem ich den Weg einschlug, auf welchem die Leute heutzutage berühmt werden, nämlich die Zeitungs-Annonce. Ich ließ meine Erklärung von der Weisheit drucken und überall ankündigen: Wer ein Weiser sein will, wie die Weisen Griechenlands, den laden die Musen zu Gaste und warten sein auf dem Parnassos. Erfolg freilich wage ich mir nicht zu versprechen.“
Pythagoras hatte recht. Es kam niemand.
„Aber schätzen denn die Menschen die Weisheit gar nicht mehr?“ fragten die Musen endlich.
„Sie schätzen sie hoch, sehr hoch“, versicherte Pythagoras.
„Warum wollen sie dann aber nicht weise sein?“
„Jeder will lieber, daß es ein anderer sei, nicht er selbst, der das Ehrenamt des Weisen führe.“
„Also so gutmütig und bescheiden sind die Menschen!“ rief Erato erfreut. „Das hätte ich wirklich kaum geglaubt. So wollen sie nur darum nicht weise sein, damit –“
„– damit sie klüger bleiben können als die Weisen!“ schloß Pythagoras.
Und die Menschen blieben es auch. Die Musen und die Weisen warteten noch viele Abende auf die Männer, welche weise sein wollen, aber sie blieben unter sich. Nur einmal glaubten sie, es käme ein Weiser; jedoch es war nur ein kleiner Junge mit großen blauen Augen, der sich verirrt hatte, weil er dem Schneewittchen seinen Pfefferkuchen bringen wollte und nach Süden gegangen war, statt nach Norden. Da steckten ihm die Musen die Taschen voll Ambrosia, Solon legte ihm die Hand auf die Locken, und Melpomene und Erato küßten ihn auf den Mund und führten ihn nach Hause. Darauf flogen sie wieder zum Parnassos, setzten sich mit den zweiundzwanzig Sophen zum Tee und sagten:
„Wir können’s abwarten, wir sind ja noch jung.“
Der gefangene Blitz
Ich bin geboren –
„Geboren? Was ist das wieder für ein Unsinn? Eine von den Dummheiten der Menschen, worauf sie sich noch etwas einbilden. Ich bin nicht geboren, bin niemals geboren worden. Oder bist du vielleicht geboren, altes Zählwerk?“
„Tick-tack, tick-tack“, sagte die Uhr im Zählwerk des elektrischen Stroms.
„Sprich deutlicher, ich verstehe dich nicht“, rief die Glühlampe.
„Weiß nicht, ob ich geboren bin“, antwortete die Uhr. „Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Aber ich habe schon viele Glasbirnen, wie du bist, sich zu Tode brennen sehen, also werden sie wohl auch geboren worden sein.“
„Rede nicht so dumm! Bin ich die Glasbirne? Bin ich der Kohlenfaden? Du freilich, du bist ein trauriges Federwerk, du wirst aufgezogen, sonst läufst du ab. Aber ich – ich bin ganz etwas anderes.“
„Tick-tack, tick-tack –“
„Jetzt freilich haus’ ich in einer Glühlampe, jetzt leucht’ ich nur auf den Tisch hier, auf die blauen Hefte und auf die weißen Bogen, und auf den Menschen – Aber einst – Soll ich dir’s erzählen?“
„Warum fragst du erst? Du wirst mir’s ja doch erzählen.“
„Du magst recht haben, langweiliger Zähler! Es kann nicht jeder Tag und Nacht nur Tick-Tack machen. Ja, es gibt Zeiten, in denen ich gern rede; muß ich doch oft so lange schweigen! Aber wenn ich glühe, so red’ ich auch. Und wenn du’s nicht hören willst, werd’ ich’s dem Menschen dort erzählen, obgleich er geboren ist.“
„Dem? Und der soll dich verstehen?“
„Ob er mich versteht? Ich leuchte ihm ja doch.“
„Das mußt du –“
„Mußt? Ärgre mich nicht! Unterbrich mich nicht immer! Ich schwinge eben, da muß sein Gehirn mitschwingen. Dann sieht er die Dinge rings umher. Das ist unsre Sprache. Farbe, Farbe! Die geb’ ich! Hast du nie gesehen, wenn er in die blauen Hefte schreibt, da fließt es rot aus seiner Feder, und auf der Stirn ist ein dunkler Streifen, und sein Gesicht wird ganz bleich. Aber wenn er in das kleine schwarze Buch schreibt, da schreibt er schwarz, und seine Wangen röten sich und seine Augen leuchten blau.“
„Was du nicht alles weißt! Aber jetzt schreibt er auf die großen Bogen. Das verstehst du nicht.“
„Wie? Ich könnt’s nicht lesen? Wir Geister vom Äther durchstrahlen die Welt, unser Wissen reicht weit wie des Vaters Riesenarm. Dort auf dem großen Bogen steht ein Gesuch, eine Bitte, man möge ihm etwas gewähren um – seine
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