Traumlawine
riß die trügerische Moosdecke auf. Der Junge versuchte noch zu springen, schaffte es aber nicht mehr. Gierig zog das Moor ihn zu sich hinab.
Wild mit den Armen rudernd, sank er nur weiter ein. Vor Schreck brachte er keinen Laut hervor.
Vorsichtig ließ Sadagar sich auf den Bauch nieder, bemüht, jede Schwankung sofort auszugleichen.
»Komm schon!« forderte er den Königstroll auf. »Du mußt Joby herausziehen.«
Schmatzend schloß sich das Moor um die Schultern des Jungen. Es blieb keine Zeit für langes Überlegen.
Nexapottl schob sich an Sadagar vorbei, dessen Hände sofort seine Knöchel umkrampften, um ihn festzuhalten. Nur einige Fingerbreit fehlten, dann hätte Joby den hilfreich ausgestreckten Arm ergreifen können. Seine Schultern verschwanden bereits im Moor.
»Noch etwas nach vorne, Sadagar.« Der Königstroll streckte sich, schaffte es aber nicht ganz.
»Ich verliere den Halt.«
»Dann verlierst du ihn eben. Willst du Joby umkommen lassen?«
Der Junge würgte.
»Weiter, Sadagar, gleich habe ich ihn!« Nexapottls Fingerspitzen berührten Jobys Hände. Aber der Junge reagierte kaum noch, obwohl er hätte zupacken können.
»Joby!« rief der Troll wütend. »Reiß dich zusammen.«
Der schien jäh aufzuschrecken. Hilflos um sich schlagend, stieß er Nexapottls Rechte zur Seite. Doch der Königstroll packte zu, kurz bevor der Junge endgültig versank. Seine Nägel krallten sich tief in Jobys Handgelenke.
»Müssen wir euch helfen?« ertönte eine rauhe Stimme hinter ihnen.
Sadagar erschrak, unterdrückte jedoch seine Regung, sich umzuwenden. Nur zögernd gab der Sumpf den Jungen frei. Aber sie schafften es.
»Ein Kind, ein Zwerg und ein alter Mann«, ertönte die Stimme wieder. »Möchte bloß wissen, was es bei denen zu holen gibt. Wir sollten sie lieber gleich in den Morast stoßen.«
»Das will ich euch nicht geraten haben.« Steinmann Sadagar wußte, daß sie es mit einer Übermacht zu tun hatten. Nur äußerste Kaltblütigkeit konnte ihnen helfen. Langsam wandte er sich um.
»Er droht uns.« Schallendes Gelächter folgte dieser Feststellung.
Obwohl innerlich auf alles vorbereitet, zuckte Sadagar zusammen, als er die Piraten zu Gesicht bekam. Sie waren eine bunt zusammengewürfelte Horde der verschiedenartigsten Wesen. Keiner von ihnen glich dem anderen, und ihr Anführer schien jener zu sein, dessen Oberkörper durchaus männlich war, dessen Unterkörper aber viel eher von einem Tier stammte. Seine gelblich behaarten Beine endeten in Hufen. Ein langer, kräftiger Schwanz peitschte unruhig hin und her.
Er trug eine große, doppelschneidige Streitaxt mit eisernem Schaft. Zwei Männer mochten nötig sein, um diese Waffe überhaupt aufzuheben.
Daß Sadagar krampfhaft schluckte, schien ihm keineswegs entgangen zu sein.
»Ist dein Mund noch immer größer als dein Mut?« bellte er. Ihm gehörte die rauhe Stimme. »Es gibt niemanden, der sich gegen Trobus auflehnt.«
»Was habt ihr mit uns vor?« wollte Nexapottl wissen.
Trobus, das mußte der Name des Anführers sein, zeigte auf seine Begleiter.
»Frage die, Zwerg. Mag sein, daß sie dich mit etwas Salz als besonderen Leckerbissen verspeisen.«
Er lachte und schlug sich auf die Schenkel. Nexapottl hingegen fand den Witz gar nicht gelungen. Er machte ein betretenes Gesicht, was die Heiterkeit der Piraten nur noch steigerte.
Alle waren sie Mischwesen. Einer von ihnen besaß zwei Köpfe, ein anderer drei Augen, und wieder ein anderer trug das Fell eines Tigers, und auch sein Gebiß wirkte kaum weniger gefährlich als das eines Raubtiers.
»Nehmt sie mit«, befahl Trobus. »Und nehmt ihnen die Waffen ab. Es wäre doch jammerschade, wenn sie sich beim Spielen damit verletzen würden.«
Scheinbar ängstlich klammerte Joby sich an Sadagar, doch die Piraten zerrten ihn einfach zurück. Sie nahmen dem Steinmann die Wurfmesser ab.
»Das ist alles?« fragte Trobus verwundert.
»Hier!« Jemand reichte ihm die bauchige Flasche, die er interessiert beäugte.
»Die gehört dir?«
»Natürlich«, nickte Sadagar.
»Nun nicht mehr.« Der Anführer verzog sein Gesicht zu einem dämonischen Grinsen. »Wir besitzen schon so eine. Weißt du überhaupt, welch ungeheure Zauberkraft in diesem Ding steckt?«
»Die Mächte des Feuers sollen dich und deine Bande verzehren!« fluchte der Steinmann.
»Bindet ihn und die beiden anderen!« Trobus streifte sein dichtes, tiefschwarzes Haar zurück, das wie eine Mähne war, und trat dicht vor Sadagar hin.
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