Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
sie flehentlich an. Bevor Hailey etwas sagen kann, hält Jules den Zeigefinger vor seinen Mund. Die Worte bleiben ihr in der Kehle stecken, nur ihr ungläubiger Blick bleibt an Jules haften.
Er packt sie fester am Handgelenk und zieht sie mit sich.
»Ich hole dich hier raus. Jetzt.«
Hailey kann weder reagieren noch klar denken.
»Ich kann nicht einfach gehen.«
Mit klopfendem Herzen legt Jules der jungen Empfangsdame die Papiere auf den Tresen. Sie betätigt eine Klappe, die Blätter verschwinden und tauchen auf ihre Seite der Glasscheibe wieder auf. Auch wenn alles seine Ordnung hat, läuft Jules der Schweiß in Strömen über den Rücken. Er darf eine Führung erhalten und ist somit berechtigt, das Gelände zu betreten. Doch sein Vorhaben, Hailey zu befreien, macht ihn zu einem Verräter.
»Nur für dich, Macy.«
Die Empfangsdame nickt.
»Einfach den Gang entlang. Dort wird Sie ein Arzt erwarten und Ihnen die Räumlichkeiten zeigen.«
»Danke.«
Seine Schritte hallen in den leeren Korridoren unangenehm laut wieder. Bei jedem seiner Schritte zuckt er zusammen und befürchtet, verfolgt zu werden. Immer wieder wirft er einen nervösen Blick über seine Schulter.
Schließlich hat er das Ende des Ganges erreicht und noch immer ist kein Arzt in Sicht. Nervös bleibt er stehen und wartet. Nach zwanzig Minuten wird ihm klar, dass diese Gelegenheit einzigartig ist. Kein Arzt ist in der Nähe und er befindet sich innerhalb der Klinikmauern.
»Mittagessen«, hallt eine Stimme durch die leeren Korridore und sofort öffnen sich alle Türen. Jules lässt sich mit den Gefangenen treiben, die sichtlich erregt sind. Irgendetwas kommt Jules merkwürdig vor. Als er Hailey in dem Gedränge sieht, überlegt er nicht lange. Er ist hier, um sie zu befreien und das seltsame Verhalten der Häftlinge ist sein eindeutiger Vorteil.
Er berührt Hailey am Arm und bedeutet ihr, still zu sein.
»Ich hole dich hier raus. Jetzt«, flüstert er und möchte sie mit sich ziehen. Alle Blicke sind gebannt auf einen jungen Mann gerichtet, dessen Gesicht demoliert wurde. Ein bulliger Wächter stützt sich auf den Schultern des Gefangenen ab. Dieser lässt sich die Last nicht anmerken, auch wenn sein Rücken sich langsam unter ihr beugt. Selbst der Gesichtsausdruck der Wächter macht deutlich, dass das hier keine Normalität ist. Einige von ihnen – vor allem die Jüngeren – wirken angespannt und meiden es, den Verbrecher anzuschauen.
Als Hailey ihm widerspricht, zuckt er erschrocken zusammen und sieht ihr tief in die grünen Augen. Kampfgeist und Angst blitzen ihm entgegen.
»Ich muss Caleb retten«, flüstert Hailey und deutet mit dem Kopf auf den gefesselten Jungen. Unschlüssig erwidert Jules ihren fordernden Blick und nickt schließlich.
»Aber komm erst einmal mit, damit wir uns draußen in Ruhe einen Plan überlegen können.«
Zuerst zögert Hailey, dann lässt sie sich von ihm aus dem Saal zerren. Keiner der Wächter bekommt etwas mit, so sehr fesselt sie das Schauspiel des öffentlich angeprangerten Jungen.
Sobald Jules und Hailey einen Spalt zwischen sich und der Menschenmasse gelassen haben, rennt Jules los und zieht Hailey mit sich. Sie würde am liebsten schreien, doch dann könnte sie die Aufmerksamkeit der Wächter auf sich ziehen. Mit aller Kraft stemmt sie sich gegen Jules und schlägt auf seine Hand ein.
»Ich muss Caleb helfen, was machst du da?«
»Dich retten! Genau das habe ich Macy versprochen. Scheiße, ich riskiere hier schon mein Leben für dich, also komm jetzt mit.«
Hailey öffnet den Mund, um etwas zu entgegnen, hält aber inne, als Jules weiter Richtung Ausgang stolpert.
»Und du willst einfach durch die Vordertür spazieren? Mit einer Insassin?«, spielt Hailey ihren einzigen Trumpf aus. Jules stockt.
»Scheiße.«
»Dein Plan ist absolut wasserdicht«, bemerkt Hailey und kann sich ein zynisches Grinsen nicht verkneifen.
»Hast du eine bessere Idee?«
»Ich bin nicht planlos in ein Gebäude voller Wächter gestürmt, um eine Person zu retten.«
Sofort bereut Hailey ihre Worte, immerhin ist er gekommen, um sie hier rauszuholen. Für Macy. Das zeugt von Mut und Aufrichtigkeit. Gerade möchte sie sich bei ihm bedanken, als neben ihr ein lautes Klopfen ertönt.
Vor Schreck stolpert Hailey einige Schritte rückwärts. Erneut ein lauter Schlag gegen die Metalltür.
»Da ist jemand drinnen«, murmelt Jules. Ohne Umschweife geht er auf die Tür zu hinter der er die Ursache des Geräuschs vermutet
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