Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
erzählte.«
»Warum gerade Maikäfer?«
»Überleg doch mal: Maikäfer sind wirklich eklige kleine Tiere. Ich habe erst einmal einen gesehen, als er zufällig in den Speisesaal geflogen ist. Er hat vor allem unter den Frauen eine wahre Panikwelle ausgelöst.« Bei der Erinnerung daran bricht Caleb in lautes Gelächter aus, welches in ein ersticktes Husten übergeht. »Sie summen merkwürdig, sind nicht gerade ansehnlich und zudem noch schwer zu fangen. Abgesehen davon, dass niemand so einen Käfer gerne in die Hand nehmen möchte. Wenn man es schafft, egal ob im Traum oder in der Realität, ist alles andere wirklich ein Kinderspiel.«
»Wie real sind Träume?«, flüstert Hailey ihre Frage, die sie nie jemanden stellen konnte. Schon immer hat sie gegrübelt, weshalb die Menschen solche Angst vor Träumen haben. Wenn sie doch wissen, dass diese nicht real sind.
»Früher kam das angeblich auf den Menschen an. Heute sorgt die Regierung dafür, dass jeder Traum realer wirkt als die Realität selbst. Stell dir vor, du würdest die ganze Nacht einen Maikäfer jagen und ihn nicht fangen. Am nächsten Morgen bist du ausgelaugt, übermüdet und schlaff. Natürlich wird dann jede Kleinigkeit schiefgehen. Insofern glaube ich schon, dass Träume und Zukunft zusammenhängen. Nicht, dass man die Zukunft voraussehen kann, sondern eher, dass Träume einen Menschen derart zerstören können, dass sein Leben völlig aus den Fugen gerät.«
Nachdenklich drückt Hailey sich näher an ihn. Der Gedanke daran, eine ganze Nacht ergebnislos ein widerliches Insekt jagen zu müssen, lässt sie schaudern. Ihr war nie klar, wie sehr die Gesellschaft unter den kontrollierten Träumen leiden muss. Vor allem, wenn es kontrollierte Albträume sind.
»Meinst du, wir könnten dafür sorgen, dass jeder Mensch nur noch schöne Träume hat?«
Liebevoll streichelt Caleb über Haileys Haar.
»Früher gab es auch eine Gruppe die glaubte, dass Träume die wahre Seele eines Menschen offenbaren, da nur der Schlaf sie von den körperlichen Zwängen befreit. Sicherlich könnten wir dafür sorgen, sobald wir die Regierung gestürzt haben. Aber ich denke nicht, dass das sinnvoll wäre. Träume sind zu mächtig, als dass irgendjemand sie kontrollieren sollte. Egal ob mit guter oder schlechter Absicht.«
Darauf weiß Hailey nichts zu sagen. Da sie auf Calebs Brust liegt, hört sie, wie sein Herzschlag sich auf einmal beschleunigt. Beunruhigt streicht sie ihm über die Schulter.
»Alles in Ordnung?«
Als Caleb nicht antwortet, setzt Hailey sich auf und sieht ihn fragend an. Ihrem Blick ausweichend, richtet er sich ebenfalls auf.
»Hailey, da gibt es noch etwas, das ich dir sagen muss.«
Sofort beschleunigt sich Haileys Puls.
»Ich wusste es.«
Verwirrt und gleichzeitig ängstlich starrt Caleb sie an.
»Du bereust den Kuss«, flüstert Hailey und spürt, wie ihr die Worte die Kehle zuschnüren. Mit Calebs Reaktion hat sie nicht gerechnet. Schneller als sie ihm zugetraut hätte, beugt er sich zu ihr hinüber und presst seine Lippen auf ihre. Ergeben seufzt Hailey und lässt das angenehme Gefühl des Kusses über sich hinwegspülen. Schließlich löst Caleb sich von ihr und legt eine Hand auf ihre Wange.
»Sag so etwas nie wieder.«
Haiely nickt benommen.
»Was ich dir sagen will, ist weitaus schlimmer. Ich habe Angst, dass du den Kuss bereuen wirst, wenn du es hörst«, gesteht er und fährt sich mit einer Hand durch die Haare. Sein Gesicht ist so schmerzverzerrt, dass Hailey mitleidig näher zu ihm rutscht und ihre Hand auf sein Bein legt.
»So ein Schwachsinn«, rügt sie ihn sanft. Doch dann erzählt er ihr die ganze Geschichte.
Meine Eltern liebten mich nie. Als ich sechs war, kamen sie auf die Idee, mich als Versuchskaninchen zu nutzen, um sich die Auswirkung der Seelenfresser auf einen Menschen leibhaftig anzusehen. Sie verabreichten mir kein Kontrollmittel, doch ich überlebte. Folglich fürchteten sie sich vor mir und meldeten mich den Wächtern.
Diese brachten mich trotz meines jungen Alters in die Klinik, wo ich einen besonderen Mann kennenlernte. Er lebte dort schon seit einem Jahr und nahm mich auf wie sein eigenes Kind. Er beschützte mich vor den Wächtern und sorgte dafür, dass ich mich mit meinem neuen Schicksal abfinden konnte. Er war es, der mir meinen Lebenswillen zurückgab. Obwohl ich jung war, erzählte er mir seine Geschichte.
Der Mann war ein ranghoher Arzt gewesen, der am Traumstoff forschte. Als liebender Vater hatte
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