Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
fühlt, obwohl sie niemals einen hatte.
»Hey, alles wird gut.«
Calebs beruhigende Worte haben die gegenteilige Wirkung. Verzweifelt klammert sich Hailey an seinem Oberteil fest. Dieses Leben ist ihr zu anstrengend. Sie möchte nicht gegen all das kämpfen oder etwas verändern. Ihr größter Wunsch war schon immer der gleiche und auch jetzt scheint er Hailey mit seiner Unerreichbarkeit zu verhöhnen.
»Ich will einfach nur normal sein«, flüstert sie.
»Aber wieso?«
Als sie Calebs Frage hört, wird ihr klar, dass sie ihren geheimsten Gedanken laut ausgesprochen hat. Panisch vergräbt Hailey ihr Gesicht noch tiefer in seinem durchweichten und zerrissenen Oberteil. Jetzt, da noch jemand von ihm weiß, kann sie nie wieder zurück. Sie hatte schon immer normal sein wollen. Lachen, spielen und träumen wie andere Kinder. Sich nicht jeden Abend untersuchen lassen und jeden Morgen rechtfertigen müssen.
Wenn sie normal gewesen wäre, hätte sie so frei leben können wie alle anderen. Auch wenn sie dann vor Albträumen Angst haben müsste, wäre diese Freiheit es wert gewesen. Die Freiheit, von anderen geliebt und geachtet zu werden. Die Freiheit, abends einfach einzuschlafen und morgens in ein Traumtagebuch zu schreiben.
»Weil ich frei sein will«, stößt sie schließlich hervor.
»Aber wenn du von der Regierung kontrolliert wirst, bist du doch nicht frei.«
»Wenn sie mich nicht kontrollieren kann, bin ich nicht nur geistig, sondern auch körperlich ihre Gefangene«, gibt Hailey zurück.
»Nur wenn wir die Regierung stürzen, kannst du frei sein.«
Die Überzeugung mit der er vom Sturz der Regierung redet, macht Hailey wütend. Sie versteht nicht, wie Caleb sich dessen so sicher sein kann, dass sie schaffen.
» Falls wir die Regierung stürzen«, verbessert sie ihn und beißt wütend die Zähne zusammen. Sie weiß selbst nicht, weshalb sie Calebs Hoffnung zerstört. Nur, weil sie selbst keine mehr in sich trägt?
»Es tut mir leid«, wispert sie und hebt ihren Kopf, um Caleb in die Augen zu schauen. Er weicht ihrem Blick aus und starrt an die Decke.
»Du musst dich für nichts entschuldigen.«
Sein Tonfall sagt das Gegenteil und Hailey erschaudert.
»Ich wollte dich nicht verletzen ... Es ist nur ...«, ringt sie nach Worten, »du bist dir deiner so sicher. Mit allem. Du warst sicher, dass ich dich aus der Klinik befreie und du bist dir sicher, dass wir die Regierung stürzen. Du glaubst fest daran, dass wir dann alle frei sind. Aber was ist, wenn die Menschen ihre kontrollierten Träume gar nicht aufgeben wollen? Was ist, wenn wir ihnen das nehmen, was ihnen in ihrem Leben Halt gibt? Woher willst du wissen, dass die Regierung keinen guten Grund hatte, die Menschen zu kontrollieren?«
Abrupt lässt Caleb sie los, richtet sich auf und dreht sich zur Seite. Hailey versucht ihn anzusehen, doch er sitzt aufrecht und starrt aus dem Fenster. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, sein ganzer Körper angespannt.
»Sag so etwas nie wieder«, sagt er leise und schaut sie dabei nicht an. »Du hast die Klinik gesehen. Die Menschen, die ihrem Tod entgegensehen. Du bist einem Geprägten begegnet und wirklich der Meinung, dass die Regierung mit der Traumkontrolle etwas Gutes tut? Das kann nicht dein Ernst sein.«
Die Worte treffen Hailey mitten ins Herz und hinterlassen ein großes Loch.
»Ich ...«, versucht sie sich zu rechtfertigen, aber Caleb hebt die Hand und bedeutet ihr so, dass er ihr nicht zuhören wird. Traurig schüttelt er den Kopf.
»Wenn du so denkst, sollten wir vielleicht einfach zurück in die Klinik gehen und unser Schicksal akzeptieren. Ich habe wirklich mehr von dir erwartet.«
Er wendet den Kopf und sie begegnet seinem eiskalten Blick. Sie fragt sich, wie die Situation dermaßen schnell eskalieren konnte. Am liebsten würde sie aufstehen und gehen. Doch dann wird sein Blick wieder weich.
»Müssen wir uns wirklich streiten, Hailey?«, seufzt er und ein Flehen liegt in seinen Augen, dass Hailey schwindelig wird. »Bitte vertrau mir einfach. Vertrau darauf, dass wir das gemeinsam hinbekommen. Mehr verlange ich doch gar nicht. Wir haben nichts zu verlieren.«
»Wir nicht, aber alle anderen.«
Caleb schüttelt erneut den Kopf.
»Schau dich doch um. Niemand ist mit der Traumkontrolle wirklich glücklich. Wer auch immer das sagt, ist ein Lügner oder steht im System ganz oben und spuckt auf die anderen hinab. Bitte, Hailey. Du bist doch das beste Beispiel dafür. Du kannst nicht träumen,
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