Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
ist auf die Frequenz des Jungen eingestellt. Falls du ihn verlierst, kannst du ihn so wieder finden.« Er hält es ihr entgegen, aber kurz bevor sich ihre Hand darum schließt, zieht er es wieder zurück. »Dir sollte klar sein, dass du mich besser nicht enttäuschst?«
Seine Stimme ist beunruhigend ruhig. Lauernd, berechnend, bedrohlich. Stumm nickt sie und nimmt das kleine Gerät entgegen. Schwer und kühl liegt es in ihrer Hand. Tief in ihr regt sich ein Gefühl, als habe sie gerade etwas Furchtbares getan.
Nachdenklich starrt Hailey auf das zerbrochene Mobiliar. Sie fühlt sich mit diesen Trümmern verbunden. Denn obwohl sie schon lange zerstört sind, sind sie noch immer da.
Caleb schnarcht leise neben ihr. Obwohl er sich so gibt, als wäre alles in Ordnung, merkt man ihm die Erschöpfung noch deutlich an. Nachdem Macy gestern Mittag die Pommes brachte und abends nach Hause ging, ist sie nicht wiedergekommen. Seitdem gab es nur wenig Stunden, in denen Caleb bei Bewusstsein war. Dann lagen sie stumm nebeneinander, lauschten dem Puls der Stadt und genossen die wenigen Stunden Frieden.
Jetzt ist schon Mittag und noch immer haben weder Macy noch Jules etwas von sich hören lassen. Allerdings macht Hailey sich nur bedingt Sorgen, immerhin weiß sie nicht, wie lange solche Untersuchungen dauern. Die Enttäuschung, dass Macy nicht gemeinsam mit ihr wartet, verdrängt sie geflissentlich.
Während der letzten Stunden der Ruhe hat sich in Hailey ein Gedanke festgesetzt, der alle anderen Gefühle überschattet und sie selbst überrascht: Sie möchte, dass ihre Mutter die Wahrheit erfährt.
»Mein Vater war ein ehrenwerter Mann und seine Frau sollte das erfahren«, erklärt sie einem kleinen Vogel, der es sich auf dem Fensterbrett über der Sitzgarnitur bequem gemacht hat. Sein rotes Brustgefieder leuchtet in einem unnatürlich farbigen Kontrast zur grauen Betonhölle. Die kleinen schwarzen Knopfaugen schimmern wie dunkle Murmeln und beobachten Hailey misstrauisch.
Piep?
Lächelnd schüttelt Hailey den Kopf, als der Vogel ein leises Zwitschern ausstößt.
»Du verstehst kein Wort von dem, was ich sage, nicht wahr?«
Neugierig legt er den Kopf schief und flattert kurz mit den Flügeln. Dann springt er vom Fensterbrett und erhebt sich in die Luft.
»Ich wünschte, ich könnte auch fliegen.«
Hailey wirbelt herum und sieht Caleb lächeln.
»Einfach so davonfliegen. Egal, wohin ich will. Das wäre wirklich schön.«
»Wohl wahr«, stimmt Hailey zu und wendet sich wieder zum Fenster. »Caleb, ich habe mir einige Gedanken gemacht. Wegen unserem Plan«, sie hält kurze inne und holt tief Luft, »und meiner Mutter.«
Caleb hebt die Augenbrauen und atmet geräuschvoll aus.
»Wegen deiner Mutter?«
Sie hält seinem Blick stand und nickt zögerlich.
»Ich möchte sie gerne einweihen.«
Mehr sagt sie nicht, sondern hofft, dass Caleb sie versteht. Seine gerunzelte Stirn verrät ihr, dass dies nicht der Fall ist und sie seufzt genervt auf.
»Wegen meinem Vater. Ich finde es nicht richtig, dass sie die Wahrheit nicht kennt. Sie muss wissen, dass er kein Verräter, sondern ein Held war.«
Ein trauriger Ausdruck huscht über Calebs Gesicht.
»Manchmal ist es besser, so etwas nicht zu wissen.«
»Wie kannst du das nur sagen?«, braust Hailey auf und stampft mit dem Fuß auf den Boden. Staub wirbelt in die Luft.
»Überleg doch mal. Einen geliebten Menschen zu verlieren ist immer schwer. Deine Mutter hat vermutlich schon damit abgeschlossen. Es ist immer leichter jemanden zu vergessen, wenn sich herausstellt, dass er ganz anders ist, als man bisher dachte. Selbst, wenn das im Fall deines Vaters nicht der Wahrheit entspricht. Deiner Mutter geht es so besser«, erklärt er.
Energisch schüttelt Hailey den Kopf.
»Sie muss es erfahren. Wenn sie ihn wirklich geliebt hat, wird ihr das helfen. Sicherlich werden alte Wunden wieder aufreißen. Aber dann weiß sie wenigstens, dass ihre große Liebe nicht böse, sondern durch und durch gut war.«
Ein Funkeln tritt in ihre Augen und die durch das Fenster scheinende Sonne erweckt den Anschein, als trage sie einen Kranz aus Licht auf dem Kopf. Obwohl ihre Haare seit ein paar Tagen ungewaschen und ihre Haut dreckig ist, wirkt sie wie eine helle Lichterscheinung. Caleb lächelt milde.
»Vielleicht hast du recht.«
Hailey, die sich schon auf eine stundenlange Diskussion eingestellt hat, öffnet den Mund für ein Gegenargument und hält dann inne.
»Ich habe recht?«
Sie ist es
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