Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
Kira?«, antwortet das Mädchen verstört und hält inne. Die Welt um sie herum steht still, keine Bewegung, kein Licht, kein Schatten.
»Komm her.«
»Wohin denn?«
Das Mädchen beginnt zu zittern. Sie weiß nicht, wer sie ist oder wo sie sich befindet. Aber sie spürt, dass sie hier nicht hingehört.
»Wo bin ich?«, ruft sie laut und dreht sich einen Ausweg suchend im Kreis. Unzählige Türrahmen tauchen um sie herum auf. Jeder von ihnen trägt deutliche Kratzspuren und hinter ihnen befindet sich nichts als Finsternis. Vorsichtig nähert Kira sich einem dieser Durchgänge.
»Hallo?«
Keine Antwort.
»Komm her«, drängt die Stimme. »Lass dich einfach fallen.«
Unsicher sieht Kira nach unten und erstarrt. Kein Boden kann sie von einem Sturz abhalten. Noch bevor sie den Gedanken zu Ende gedacht hat, fällt sie und verliert sich in der ewigen Finsternis.
Ein klammes Gefühl lässt sie die Augen öffnen. Verständnislos starrt sie die junge Frau ihr gegenüber an und erkennt Fesseln, die ihren Körper an der Wand fixieren. Breite schwarze Bänder um ihre Gelenke und ihre Stirn. Ihre Füße berühren nicht den Boden, sondern hängen bewegungsunfähig in der Luft.
Ihre ungewaschenen Haare hängen in fettigen Strähnen um ihr ausgemagertes Gesicht. Einige von ihnen leuchten in einem satten Türkis. Ihr weißes Oberteil ist an der Schulter zerrissen und ein merkwürdiges Auge starrt sie von dort an. Ängstlich weiten sich ihre Augen und die der anderen Personen tun es ihr gleich. Sie versucht zeitgleich mit der jungen Frau ihre Hand zu heben. Als sie dies bemerkt, lächeln sie beide.
Wer auch immer dieses Mädchen ist, es ist ihr sehr ähnlich.
»Ah, du bist wach.«
Ein hochgewachsener Mann betritt den Raum. Seine schwarzen Haare schimmern verführerisch frisch und ein angenehmer Geruch breitet sich aus. Seine Bewegungen sind geschmeidig und berechnend. Raubtiergleich kommt er näher. Plötzlich nimmt sie gegenüber eine Bewegung wahr. Auch vor der anderen steht ein Mann und mustert sie von oben bis unten. Er sieht genauso aus wie der Mensch vor ihr.
Verstört huscht ihr Blick zwischen den beiden hin und her, bis sie begreift: Die junge Frau ist sie selbst.
»Was?«, stottert sie unverständlich. Aus ihrem trockenen Hals dringt lediglich ein leises Krächzen. Im Spiegel kann sie sehen, dass ihre Gesichtszüge von Fassungslosigkeit und Panik völlig verzerrt sind.
»Wer bin ich?«, bringt sie hervor und mustert sich von oben bis unten. Sie weiß nicht, wie sie aussieht. Aber dass sie sich selbst nicht erkannt hat, ist ein merkwürdiges Gefühl. Jetzt, da sie darüber nachdenkt, weiß sie nicht einmal mehr, wie genau sie hierher gekommen oder wer sie überhaupt ist. Ihr Verstand arbeitet unerträglich langsam, als müsse er alles aus den tiefsten Gräben hervorholen.
»Wir hatten schon befürchtet, dass du es nicht überstehst. Das passiert leider viel zu häufig.«
Ihre Augen zucken zurück zu dem Mann und bleiben auf ihm ruhen. Auf seiner Nase sitzt ein dünnes Brillengestell.
»Aber genau genommen, machst du mir noch einen zu vernünftigen Eindruck. Ich weiß nicht, ob das gut ist. Viele verlieren komplett den Verstand. Die sind dann lediglich als etwas bessere Köder zu gebrauchen.«
Ein Ausdruck des Bedauerns huscht über sein Gesicht.
»So viel Arbeit für Nichts.«
Verständnislos starrt sie ihn an.
»Also Kira. So ist doch dein Name, oder?«
Er hebt fragend eine Augenbraue und bringt so seine tiefblauen Augen zur Geltung. Diese Farbe erinnert sie an irgendetwas ... Verwirrt möchte sie den Kopf schütteln, doch das schwarze Band um ihre Stirn hält sie davon ab.
»Ich weiß nicht«, gesteht sie schließlich und kommt sich dabei klein und unbedeutend vor. Dieser Mann weiß mehr über sie als sie selbst. Eine Tatsache, die ihr Unbehagen bereitet.
»Sehr gut«, erwidert er zu ihrer Überraschung und klatscht in die Hände. »Jungs, es hat funktioniert! Gute Arbeit!«
Bei diesen Worten dreht er sich um und scheint direkt mit dem Spiegel zu reden. Langsam beginnt sie an seiner Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln. Auch wenn sie ihren Namen nicht mehr kennt, so weiß sie doch, dass Spiegelbilder nicht reden oder antworten können.
»Wer bin ich?«
Sie möchte ihn eigentlich nicht fragen, aber der Mangel an Alternativen lässt ihr keine Wahl. »Es ist egal, wer du bist. Wichtig ist, wo du bist und für wen du arbeitest.«
Seine Stimme nimmt einen tiefen, durchdringenden Klang an, der jede Faser
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