Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
Streit zu entgehen.
Zwischen ihnen klafft eine großer Abgrund mit vielen Übergängen, doch nur eine der vielen Brücken wird ihr Gewicht tragen, damit sie zu Macy durchdringen kann. Abwägend legt sie den Kopf schief.
»Macy, hör zu: Ich –«
»Keine Lügen mehr! Sag mir die Wahrheit.«
Hailey spürt, wie der Boden unter ihren Füßen wegbricht. Zu gerne würde sie die rettenden Worte als Seil benutzen, aber irgendetwas, tief in ihr, hält sie davon ab.
Flehend blickt sie zu Caleb und Jules, aber beide weichen ihrem Blick aus. Sie wollen mit dem Streit zwischen den Freundinnen nichts zu tun haben.
»Bitte vertrau mir einfach«, versucht Hailey es mit belegter Stimme. Vorsichtig geht sie auf Macy zu und legt eine Hand auf ihre Schulter. Abrupt befreit Jules sich aus den Armen seiner Freundin, um nicht in die Schusslinie zu geraten.
Macy regt sich nicht. Vor dem Fenster singt ein Vogel seine fröhliche Melodie, die Hailey stumpf durch das Rauschen in ihrem Ohr wahrnimmt. Eine einzelne Wolke schiebt sich vor die Sonne und mit einem Schlag wird es dunkler im Zimmer.
Bizarre Schatten legen sich über Macys Gesicht.
Mit einem Schlag sieht Hailey nicht mehr ihre beste Freundin, sondern ein entschlossenes Mädchen in ihr, das nicht mit einfachen Worten abzuspeisen ist. Ihr grimmiger Gesichtsausdruck bestätigt Haileys Verdacht, dass sie nicht länger die Wahrheit verschweigen kann. Unbehaglich tritt sie von einem Fuß auf den anderen.
»Na schön.«
Die Sonne kommt wieder zum Vorschein und ein Lächeln legt sich auf Macys Lippen.
»Ich vertraue dir«, fügt sie hinzu und drückt Haileys Hand. »Du wirst schon deine Gründe haben.«
Obwohl sie sich um einen positiven Gesichtsausdruck bemüht, sieht Hailey ihr an, dass ihr Sinneswandel nur gespielt ist. Das trügerische Glitzern in ihren blauen Augen und das angespannte Lächeln strafen ihre Worte Lügen. Keiner der Jungs scheint die Täuschung zu durchschauen, denn sie werfen sich einen erleichterten Blick zu.
Widerwillig erwidert Hailey ihr Lächeln.
»Ich bin froh, dass du das so siehst.«
»Wir müssen später alleine reden« , fährt sie in Gedanken fort und sieht Macy tief in die Augen. Ihre Freundin nickt unmerklich und befreit sich unauffällig von Haileys Hand auf ihrer Schulter.
»Aber vielleicht solltest du alleine gehen.«
Macy scheint sie missverstanden zu haben. Hailey flucht innerlich.
»Das ist keine gute Idee. Die Wächter werden ihre Wohnung sicherlich überwachen«, schaltet Caleb sich ein, und erntet dafür einen bewundernden und doch warnenden Blick von Jules.
»Dann solltest du sie vielleicht begleiten«, schlägt Macy vor.
»Hey Mama! Ich bin aus der Klinik ausgebrochen und habe jemanden mitgebracht. Sein Name ist Caleb«, leiert Hailey herunter und schüttelt gleichzeitig den Kopf. »Keine gute Idee. Sollten uns die Wächter auflauern, haben sie uns zudem gleich beide. Nein ... Ich gehe allein. Wenn etwas schiefgeht, müsst ihr mich halt noch einmal rausholen.«
»Stimmt, das erste Mal war ja schon so einfach«, höhnt Jules und sinkt gleich wieder zusammen, als Macy ihn empört ansieht.
»Hailey, bitte ...«
»Ich bringe euch nicht wegen meiner Idee in Gefahr. Ihr bleibt hier.«
Hailey spürt den Widerwillen ihrer Freunde und wartet auf einen erneuten Streit. Aber keiner sagt ein Wort. Macy spielt nervös mit einer ihrer Locken und streicht sich über ihre Jeans. Caleb starrt aus dem Fenster und Jules fummelt nervös an seinem Shirt herum.
»Gut, dann hätten wir das ja geregelt. Es ist Sonntag, also wird sie zu Hause sein. Wenn ich in vier Stunden nicht zurück bin, könnt ihr euch einen Plan überlegen. Aber erst, wenn vier Stunden vorbei sind. Nicht früher.«
Niemand widerspricht ihr.
Neuntes Kapitel
Hailey hält den neugierigen und nervösen Blicken tapfer stand. Einige Menschen machen demonstrativ einen großen Bogen um ihre zerlumpte Gestalt, aber keiner scheint auf die Idee zu kommen, die Wächter zu alarmieren.
Eine Frau Mitte 30 sieht Hailey mitleidig an und drückt ihr wortlos ein Stück Brot in die Hand, welches sie aus ihrer Einkaufstüte hervorgekramt hat. Wortlos und dankbar nimmt Hailey die Nahrung entgegen. Als sie der Geberin zulächeln möchte, ist diese schon verschwunden.
Mit einem dumpfen Gefühl im Magen geht Hailey weiter. Obwohl sie sich Caleb gegenüber so verhielt, als sei die Reaktion ihrer Mutter gewiss, hat Hailey Angst, dass sie daneben liegt. Sie kann nicht mit hundertprozentiger
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