Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
Eleonore die Tasche ab.
»Nein«, sagt sie ruhig und bestimmt.
»Ich muss zu Caleb!«
»Zu dem Jungen, der einen Peilsender trägt und dich deshalb in Lebensgefahr bringt? Wohl kaum. Du bleibst hier, bis ich eine Lösung gefunden habe.«
»Und wie soll diese Lösung aussehen?«
Hailey bereut es, ihre Mutter um Hilfe gefragt zu haben.
»Das werde ich dir sagen, sobald ich es weiß. Aber die Lösung lautet sicher nicht, dich dort hingehen zu lassen.«
»Mama, ich muss ihnen helfen. Sie sind in Gefahr.«
»Und ich werde nicht zulassen, dass du dich ebenfalls in Gefahr begibst.« Energisch dreht Eleonore sich auf dem Absatz um und stolziert zur Tür. »Ich habe deinen Vater verloren und gedacht, dass ich dich nie wiedersehe. Ich werde nicht zulassen, dass sie dich ein zweites Mal mitnehmen.«
»Du weißt genau, dass ich versuchen werde, einen Weg zu finden. Das wäre viel gefährlicher, als wenn du mich einfach zurück in die Stadt fahren würdest!« Aufgebracht stampft Hailey mit dem Fuß auf den Boden. Die Holzdielen knarren laut. Da Eleonore nicht stehen bleibt, eilt Hailey ihr hinterher. Die Ärztin beschleunigt ihren Schritt, die Tasche mit dem Essen lässt sie an der Türschwelle fallen.
»Mama!« Hailey kann nicht glauben, dass ihre Mutter sie jetzt im Stich lässt. Energisch versucht sie Eleonore aufzuhalten, ohne zu rennen. Sie weigert sich, ihrer eigenen Mutter hinterherzurennen. Dafür ist sie zu stolz. »Bleib stehen!«
Eleonore verhält sich, als würde sie Hailey gar nicht hören. Sie poltert die Verandastufen hinunter und hetzt zum Auto. Entgeistert bleibt Hailey auf der Veranda stehen. Sie möchte ihrer Mutter hinterherlaufen, sie aufhalten und zurück zu Caleb gebracht werden, aber ihre Beine verweigern ihr den Dienst. Sie kann nicht weiterlaufen, egal, wie sehr sie es versucht. Es scheint fast so, als habe Eleonores Elternhaus beschlossen, seiner ehemaligen Bewohnerin einen Gefallen zu tun und Hailey in einem Sog aus Gefühlen und Verzweiflung gefangen zu halten.
Eine Biene summt träge im Blätterwerk der Efeuranken. Eine Sekunde später wird ihr Brummen vom Aufheulen des Motors übertönt und Eleonores Auto jagt über die Straße davon. Hailey bleibt allein zurück. Sie dreht sich um und stapft wieder ins Haus.
Wütend tritt sie mit ihrem Fuß gegen die Tasche voller Lebensmittel. Sie fällt um und eine Dose Ravioli kullert über den Boden. Das Metall scharrt mit einem unangenehmen Geräusch über das Holz und verschwindet schließlich unter der Kommode im Flur. Fluchend geht Hailey in die Knie und tastet mit ihren Fingern nach ihr. Sie fühlt Staub, Dreck und Spinnweben auf ihrer Haut. Leicht angewidert rümpft sie die Nase, tastet aber weiter.
Als sich ihre Finger um etwas Metalliges schließen, zieht sie ihre Entdeckung hervor. Sie hält etwas Glänzendes in der Hand, was aber keinerlei Ähnlichkeit mit einer Konservendose hat. Neugierig betrachtet Hailey das kleine silberfarbene Kästchen. Es ist schon angelaufen, doch man kann die Blumenrankenmuster noch immer gut erkennen. Ehrfürchtig streicht Hailey darüber.
An der Vorderseite befindet sich ein kleines Schloss zu dem der Schlüssel fehlt. Sorgfältig stellt Hailey das Kästchen auf der Kommode ab und legt sich dann flach auf dem Boden, um unter dem Möbelstück nach dem Schlüssel zu suchen. Sie findet die Dose Ravioli und stellt sie neben ihren Fund, dann sucht sie weiter. Sie tastet alles ab, sogar den Boden der Kommode, aber sie findet nichts außer Schmutz.
Frustriert richtet sie sich wieder auf und klopft den Dreck von ihren Klamotten.
Unter großen Anstrengungen öffnet sie die erste Schublade der Kommode. Gähnende Leere klafft ihr entgegen. Hailey lässt sich davon nicht beirren und tastet säuberlich alle Wände ab. Erst als sie sich sicher ist, dass dort nichts ist, macht sie sich an das nächste Fach. Hier findet sie vergessene Kerzenleuchter sowie einige weiße Kerzen und Packungen voller Streichhölzer. Hailey nimmt sich eine der Packungen und lässt sie in ihre Hosentasche gleiten. Dann macht sie sich daran, auch hier wieder alles abzutasten – erfolglos.
Sie spürt lediglich Holz und zieht sich sogar einen Splitter zu. Schimpfend versucht sie das picksende Stück Holz aus ihrem Finger zu bekommen.
»Ach, komm schon«, murmelt sie und öffnet die dritte Schublade. In Leder eingebundene Bücher lassen sie kurz innehalten. Auf vielen von ihnen sind mit kunstvoll geschwungenen Buchstaben verschiedene Worte
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