Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
Kapitel
Nachdem sie frisch gewaschen und in ein Handtuch gehüllt im Badezimmer steht atmet Hailey tief durch. Endlich ist der Dreck der letzten Tage von ihrem Körper gewaschen, doch die Erinnerungen sitzen hartnäckig in ihrem Gedächtnis.
Sie betrachtet die Kleidung, welche ihre Mutter für sie ausgesucht hat. Eine schlichte Jeans und ein einfaches schwarzes Top. Hailey muss gestehen, dass sie mit einem Albtraum aus Pink und Rosa gerechnet hat.
In den neuen Klamotten fühlt sie sich ausgesprochen wohl und wie neugeboren. Ihre nassen Haare kleben angenehm kühl in ihrem Nacken. Vorsichtig rubbelt sie diese mit einem Handtuch etwas trocken.
Als sie unten im Wohnzimmer ankommt, hat ihre Mutter bereits ein paar weitere Sessel von ihrer Verpackung befreit. Sie sind mit rotem Stoff bezogen. Eleonore sitzt mit angezogenen Knien in dem Ledersessel ihres Vaters. Mit ihrem gedankenverlorenen Blick und den leicht zerzausten Haaren sieht sie viel jünger aus als sie eigentlich ist.
Vorsichtig lässt Hailey sich auf den grünen Sessel sinken. Der Stoff riecht staubig, aber das Polster ist bequem.
Eleonore hebt den Kopf und sieht ihre Tochter direkt an.
»Also?«
Hailey schluckt. Sie weiß nicht, wie sie ihrer Mutter die Wahrheit beibringen soll.
»Bist du wirklich bereit?«
»Ja. Wieso denkst du, dass dein Vater dich gerettet hat?« Eleonore streckt ihre Beine durch und setzt sich aufrecht hin. Im Dämmerlicht wirkt sie wie ein Schatten ihrer selbst. Ein farbloses Abbild der Frau, um deren Aufmerksamkeit Hailey jahrelang gekämpft hat.
»Papa ... war nicht böse«, setzt Hailey an.
»Das sagtest du bereits.« Ungeduldig trommelt Eleonore mit ihren Fingern auf die Stuhllehne. Das unrhythmische Getrippel bereitet Hailey Kopfschmerzen.
»Er hat die Wahrheit über die Seelenfresser herausgefunden und mich so gerettet. Dafür ist er eingesperrt worden.«
»Die Wahrheit?« Eleonores Gesichtszüge entgleiten ihr vollkommen. Ihre Hände stellen jede Bewegung ein und ihr ganzer Körper erschlafft. »Was meinst du damit?«
»Die Seelenfresser existieren nicht wirklich«, platzt es aus Hailey heraus. Sie sieht keinen Sinn darin, die Realität länger zu verschweigen. Eleonore wollte Antworten und jetzt bekommt sie diese. »Der Traumstoff, der Kinder verabreicht wird, ist ein von der Regierung entwickeltes Gift.«
Eleonore möchte etwas einwerfen, aber Hailey hebt bestimmt die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Bitte lass mich ausreden. Ein Gift, dessen Gegengift an die Traumkontrollstoffe gebunden ist. Das Gift wird nur aktiv, wenn der Mensch träumt.
Papa hat mir heimlich ein Gegenmittel verabreicht. Die Regierung hat das nicht mitbekommen. Allerdings haben sie gemerkt, dass er mit den Substanzen experimentiert hat, deshalb wurde er in die Klinik gebracht. Sie haben nie herausgefunden, dass er mich gegen das Gift geimpft hat.«
»Deshalb kannst du nicht träumen?«
Glitzernde Tränen sammeln sich in Eleonores Augenwinkeln.
»Nein ... keine Ahnung. In der Klinik gibt es noch andere, die nicht träumen können. Da der Giftstoff nur aktiv wird, wenn das Gehirn träumt, können sie ohne Traumkontrollserum leben. Diese Menschen müssen eine natürliche Immunität entwickelt haben. Sie träumen, aber unkontrolliert. Deshalb sind die Leute dort eingesperrt: Damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt. Papa hat die Wahrheit herausgefunden und sie nur Caleb erzählt, um keinen Verdacht auf mich zu lenken.« Atemlos lässt sich Hailey zurücksinken. Die grüne Sessellehne fängt sie auf.
»Die Seelenfresser sind nicht echt?« Eleonore zieht die Knie an und stützt ihren Kopf auf ihre Hände. »Bist du dir ganz sicher?«
Hailey nickt.
»Jules hat die Substanzen ebenfalls untersucht und erhielt das gleiche Ergebnis. Der Traumstoff ist ein Gift, das Traumkontrollserum ist an das Gegengift gekoppelt. Die Regierung hat unsere Angst vor finsteren Kreaturen nur ausgenutzt, um uns zu kontrollieren.«
Eleonores Gesicht ist kreidebleich und ruft bei Hailey ein schlechtes Gewissen hervor.
»Mama, wenn das zu viel für dich ist, dann ...«
Hektisch schüttelt Eleonore den Kopf.
»Nein, schon in Ordnung. Es ist nur ... unerwartet. Unglaublich. Grausam. Einfach unglaublich grausam.«
Ihre Stimme bricht. Schweigend sitzen sie da, bis rotglimmende Sonnenstrahlen sie an die vergehende Zeit erinnern.
»Was sollen wir jetzt deiner Meinung nach machen?«
Erstaunt hebt Haily den Kopf. Dass ihre Mutter so schnell etwas unternehmen
Weitere Kostenlose Bücher