Traummann auf Raten
Einfalt habe ich meine Schulmädchenschwärmerei für Gabriel mit echter Liebe verwechselt. Für Lionel wurden dadurch gleich zwei Probleme mit einem Schlag gelöst – Gabriel bekam eine passende Ehefrau, und meine Zukunft war gesichert.
Kein Wunder, dass er uns mühelos überreden konnte … Joanna seufzte. Obwohl seine Motive wie immer absolut ehrenhaft gewesen waren, hatte er sanften Druck auf sie ausgeübt. Gabriels Ehrgeiz und ihre grenzenlose Naivität hatten die Katastrophe endgültig besiegelt.
Sie war achtzehn gewesen, er zehn Jahre älter. Seit sie als Vierzehnjährige nach Westroe Manor gekommen war, hatte sie ihn vergöttert. Er hatte sie Reiten gelehrt, mit ihr Tennis gespielt und ihre Technik verbessert, den ersten Champagner mit ihr getrunken, war mit ihr nach London gefahren, um ihr glattes braunes Haar modisch schneiden zu lassen, hatte ihr geholfen, einen eigenen Stil in Garderobenfragen zu finden, und sie ungerührt bei ihrem ersten Kater gepflegt.
Und er hatte sie vor Cynthias gelegentlichen boshaften oder geringschätzigen Seitenhieben bewahrt, indem er mit ähnlicher Schärfe konterte.
Rückblickend fand Joanna, dass dies eher auf seine Abneigung gegen Cynthia als auf irgendwelche Beschützerinstinkte zurückzuführen war. Damals jedoch hatte sie den weißen Ritter in ihm gesehen, der zu ihrer Rettung herbeieilte.
Sie war viel zu verzückt gewesen, um zu erkennen, dass er sie wie die kleine Schwester behandelte, die er nie gehabt hatte.
Stattdessen hielt ich mich für Aschenputtel, dachte sie selbstironisch, und Gabriel für einen Märchenprinzen. Und Lionel war für mich ein gütiger Zauberer, der diesen nüchternen Handel in eine Liebesbeziehung verwandeln würde, damit wir bis an unser Lebensende glücklich sein könnten.
Die Flitterwochen in der auf Mauritius gemieteten Villa hatten jedoch alle Illusionen gründlich zerstört. Angefangen hatte es in der Hochzeitsnacht, die keine gewesen war. Fröstelnd schloss Joanna die Arme um den Körper.
Damals hatte sie geglaubt, Gabriel sei so rücksichtsvoll, weil er bemerkt habe, dass sie von der Hochzeit und dem langen Flug erschöpft war. Er hatte ihr geraten, ins Bett zu gehen und zu schlafen, während er sich das angrenzende Zimmer herrichten wollte. Und sie war ihm auch noch dankbar gewesen!
Den folgenden Tag verbrachten sie auf dem Grundstück und entspannten sich unter den Sonnenschirmen am Pool. Aber je näher der Abend rückte, desto aufgeregter wurde sie. Insgeheim schalt sie sich eine Närrin. Theoretisch wusste sie natürlich über die Abläufe beim Sex Bescheid, allerdings hatte sie nicht die leiseste Ahnung, welche Gefühle damit verbunden waren.
Sie nahmen erst sehr spät das Dinner auf der Veranda ein. Joanna lehnte dankend den Brandy ab, den Gabriel ihr zum Kaffee anbot, und bereute es sofort. Vielleicht hätte der Alkohol die Schmetterlingsschar vertrieben, die sich in ihrem Magen eingenistet hatte.
Gabriel war während der Mahlzeit recht schweigsam gewesen und blickte nun in die Dunkelheit hinaus. Das Glas hielt er mit beiden Händen umschlossen.
Einen Moment lang fragte sie sich, ob er wohl ebenso nervös sei wie sie, verwarf die Idee jedoch gleich wieder. Gabriel war in solchen Dingen schließlich nicht unerfahren.
Nach einer Weile schob sie ihren Stuhl zurück. „Ich gehe jetzt ins Bett“, verkündete sie.
„Fein.“ Sein Lächeln wirkte so abwesend, als wäre er mit seinen Gedanken meilenweit weg.
„Bleibst du noch hier?“ Ihre Stimme bebte ein wenig.
Langsam wandte er sich zu ihr um und sah sie stirnrunzelnd an. Ein angestrengter Zug lag um seinen Mund. „Ja, ein bisschen.“
Plötzlich war ihr die Kehle wie zugeschnürt. Unfähig, ein Wort über die Lippen zu bringen, rang Joanna sich ein Lächeln ab und floh in ihr Zimmer.
Nachdem sie geduscht hatte, zog sie ein Nachthemd an, das sie eigens für diese denkwürdige Gelegenheit gekauft hatte – raschelnde Seide mit zarter Stickerei. Dann schlüpfte sie unter das dünne Laken und wartete auf Gabriel.
Die Minuten verstrichen, eine halbe Stunde, eine Stunde. Joanna spürte, wie ihre Lider immer schwerer wurden und sie allmählich tiefer in die Kissen sank.
Nein, sagte sie sich energisch und richtete sich wieder auf, ich werde nicht schlafen.
Sie geduldete sich weitere fünfzehn Minuten, bevor sie aus dem Bett kletterte und zur Tür ging. Der Flur lag in völliger Dunkelheit, doch unter der Tür des Nachbarzimmers war ein schmaler Lichtstreif zu
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