Traummann auf Raten
gewesen, hätten sie gemeinsam lachen können. So jedoch schämte Joanna sich in Grund und Boden; was Gabriel darüber dachte, behielt er für sich.
Er hatte sich inzwischen angewöhnt, in London zu übernachten, statt nach Hause zu fahren, und sie musste ständig neue Ausreden erfinden, warum sie nicht bei ihm war.
Wenn er dann einmal auf Westroe Manor weilte und der Form halber das Bett mit ihr teilte, lag sie stundenlang wach, aus Furcht, er könnte sie berühren. Gleichzeitig ärgerte es sie maßlos, dass er ihr lediglich eine gute Nacht wünschte, sich auf die Seite drehte und sofort einschlief.
War er nicht da, blickte sie starr in die Dunkelheit, während ihre Fantasie ihr Bilder vorgaukelte, wie er sich nackt über eine andere Frau beugte.
Es musste eine andere geben, das sagte ihr der gesunde Menschenverstand. Gabriel war kein Mönch, und die Zeiträume zwischen ihren Liebesakten – sofern man es überhaupt so bezeichnen konnte – wurden länger.
An das letzte Mal erinnerte Joanna sich besonders deutlich. Sie waren auf einer Party gewesen – der einundzwanzigste Geburtstag von irgendjemandem –, und sie hatte zu viel Champagner getrunken. Und plötzlich spürte sie, wie die Hemmungen von ihr wichen. Sie lachte, flirtete und tanzte mit allen, bis sie merkte, dass Gabriel sie beobachtete. Er lehnte an der Wand und hielt einen Drink in der Hand. Zuerst war sie verunsichert und fürchtete seine Missbilligung, doch dann sah sie sein leichtes Lächeln. Sie lachte ihn an. Einem Impuls folgend, drehte sie sich im Kreis, so dass sich der weite Rock ihres dunkelblauen Seidenkleids um ihre Beine bauschte, und warf ihm eine Kusshand zu. Und Gabriel antwortete, indem er das Glas zu einem stummen Toast hob.
Als sie später heimfuhren, streifte sie die hochhackigen Pumps ab und lehnte den Kopf an seine Schulter. Insgeheim hatte sie damit gerechnet, dass er von ihr abrücken würde, doch er rührte sich nicht von der Stelle. Unter halb gesenkten Lidern hervor blickte sie auf die vorbeiziehenden Baumreihen, während sie die Wange sacht am weichen Stoff seines Jacketts rieb und einen der Songs summte, zu denen sie getanzt hatte.
Ohne dass sie miteinander sprachen, baute sich zwischen ihnen eine Intimität auf, die keiner Worte bedurfte. Sie waren wie in einem Traum gefangen.
Als sie das Anwesen erreichten, parkte Gabriel vor dem Haupteingang und stieg aus, um die Beifahrertür für Joanna zu öffnen.
Sie tastete über den Wagenboden. „Ich habe meinen Schuh verloren.“
„Du kannst morgen danach suchen.“
„Aber der Kies …“ Sie verstummte, als er sie kurzerhand auf die Arme hob und die Stufen hinauf ins Haus trug. Statt sie jedoch in der Halle wieder abzusetzen, stieg er mit ihr die Treppe hinauf und ging den Flur entlang zu ihrem Schlafzimmer.
Ihr Herz klopfte, als wollte es zerspringen. Die beschwingende Wirkung des Champagners war verflogen, und Joanna war wieder nüchtern – halb ängstlich, halb aufgeregt.
Nachdem Gabriel das Zimmer durchquert hatte, legte er sie aufs Bett und ließ sich neben ihr nieder. Er umfasste ihr Gesicht und zwang sie sanft, ihn anzuschauen. Sein Blick war so eindringlich, dass sie meinte, er wolle bis auf den Grund ihrer Seele sehen. Die Atmosphäre im Raum schien vor Spannung zu knistern. Das matte Licht der Nachttischlampe warf tanzende Schatten an die Wand.
Joanna zitterte innerlich vor Vorfreude. Sie hob die Hand und strich mit den Fingerspitzen sacht über Gabriels Wange. Als sie jedoch sein leichtes Zusammenzucken und seine undurchdringliche Miene bemerkte, fiel ihr ein, dass er sich offenbar ebenfalls der bittersüßen Wahrheit über ihre Ehe erinnerte. Es würde also mit Sicherheit unerträgliche Komplikationen heraufbeschwören, so folgerte sie, wenn sie dem Verlangen nachgeben und sich an Gabriel klammern würde.
Denn eigentlich hat sich gar nichts geändert, überlegte sie bekümmert. Er hatte sich auf der Party amüsiert und wollte nun den Abend ähnlich unbeschwert beenden. Sie durfte ihn nicht begehren. Es wäre zu demütigend, den Rest ihres Lebens damit zu verbringen, auf ihn zu warten, sich nach ihm zu verzehren und enttäuscht zu werden. Betrogen zu werden.
Es war besser so, wie es war. Dann blieb ihr wenigstens ihr Stolz.
Unvermittelt schob sie ihn von sich.
Er wollte sie festhalten. „Joanna …“ Seine Stimme klang sanft, fast reumütig.
„Entschuldige“, wisperte sie. „Ich fühle mich nicht wohl.“ Eine Hand auf den Mund gepresst,
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