Traummann in Klischee - ein heiterer Frauenroman
oder? Ich kann doch diese Sorgfaltspflicht nicht irgendeinem anderen übertragen. Das ist doch meine Aufgabe, mein Schicksal!“
Aha, nicht die Cain war sein Schicksal, nein, die Kinder.
Ich betrachtete ihn von der Seite. Sein Profil mit einem seltsam geformten Kinn, von seinem ungepflegten Bart ummantelt. Ein in die Jahre gekommener König Drosselbart. Die etwas zu traurig geratenen Augen lagen eingebettet in ein Gewimmel unzähliger feiner Fältchen. Er wirkte lebensbedrückt. Ein Mann um die vierzig, dem die Jugend durch die Finger glitt und dessen letzte Jahre anders verlaufen waren als geplant. Jeder hat seine Päckchen zu tragen, auch ein Herr Brügge, und genau betrachtet war sein Päckchen doch recht unterhaltsam.
Er war Künstler, hatte Frauen, lebte das Leben eines neuzeitlichen Bohemien. Die Parodie eines Kunstschöpfenden. Was wollte er eigentlich?
Die Kinder waren süß und konnten einem das Leben doch auch recht unterhaltsam gestalten, jedes auf seine Art. Brügges Brut. Sicher hätte das nicht jeder gemacht, wahrlich nicht. Gerade auch im Hinblick darauf, da Brügge mehr ein Lebemann denn Familienvater war, war diese selbstlose Tat, die Kinder seiner Schwester zu erziehen, mehr als anständig und imponierend. Brügge war kein Heiliger, das wollte ich damit nicht sagen, aber er war irgendwie ein guter Kerl und unter aller Oberflächlichkeit ein selbstloser Tyrann (Ist das ein Paradoxon in sich?).
Es gibt eben nicht nur Schwarz und Weiß, nicht einzig Gut und Böse. Wir Menschen sind in unserm Sinnen und Trachten so sehr mit unserer Originalität beschäftigt, unserer über den anderen stehenden Außergewöhnlichkeit und vergessen dabei manchmal die menschlichste aller Tugenden, die Liebe anderen gegenüber, vollkommen selbstlos.
Brügge vergaß nicht. Brügge stellte das Leben seiner Neffen und seiner Nichte über sein eigenes. Davor musste ich innerlich den Hut ziehen. Aber trotzdem. Jammern um des Jammerns willen? Glücklich sollte er sein. Ja, das Leben mit Kindern war nun mal nicht nur Zuckerschlecken, aber gaben sie einem nicht auch einen Grund für das Leben, einen Inhalt? Und für den Stress drum herum, dafür gab es ja augenblicklich mich zur Unterstützung.
Warum also sein Selbstmitleid? Sein Sehnen und Trachten nach einem ach so anderen, bessern Leben. Er lebte gut. Er brauchte nicht zu lamentieren.
„Wenn mir die Frage gestattet ist, wieso beklagen Sie sich eigentlich?“
Brügge gab einen grunzenden Laut von sich und drehte seinen Kopf nach mir um. Seine dunklen Pupillen starrten verworren in die meinen.
Ich schluckte schwer. Mein Herz setzte für einen kurzen Sekundenbruchteil aus, um hiernach umso schneller weiterzuschlagen.
Welch ein Blick, abgrundtief, bis in die Seele, ohne sehend zu sein.
Dann kehrte er sich wieder um, und seine Augen starrten in die Dunkelheit. Er schwieg, die vollen Lippen fest aufeinandergepresst.
Meine Zigarette war aufgeraucht. Ich wollte aufstehen, mich zu den Kindern begeben und schlafen. Er hielt mein Handgelenk und drückte mich zurück in den Sand. Ich war seine Zuhörerin, sein seelischer Mülleimer für diesen Abend. Er wollte offensichtlich reden.
„Als ich jung war, kostete die Welt nichts. Das Leben glitt an mir vorbei. Ich nahm mit, was ich mitnehmen konnte, und hatte es trotz allem im Griff, dieses Leben.“ Er genehmigte sich einen Schluck aus seiner fast leeren Weinflasche.
„Nach einigen Freundinnen fand ich eine Frau, die ich tatsächlich lieben konnte, und verdammt noch einmal, sie liebte mich zurück. Mich, den Klotz, den Sinnsucher, den Grobian. Das war für mich wie ein großes Wunder. Sie war wie ein exotischer Vogel. Ich war bereit, mich diesem Wesen vollkommen auszuliefern, ganz der ihre zu werden.“
Brügge trank den letzten Schluck und warf dann ein wenig angewidert die leere Weinflasche von sich. Ich hörte ein im Sand aufschlagendes Plopp.
Morgen, bei Tageslicht, würde ich sie suchen und in einen Mülleimer bringen.
„Mit ihr, mit meiner Frau, das waren gute Jahre, die besten Jahre, die schönsten. Das einzige, was sie niemals wollte, waren Kinder. Kinder würden ihr jede Freiheit nehmen, meinte sie. Das habe ich akzeptiert, widerwillig, denn ich konnte mir nichts Besseres, nicht Inhaltsvolleres für meine nutzlose Existenz vorstellen, als mit dieser Frau eine Familie zu gründen. Wir haben sie genossen, unsere Zweisamkeit, waren uns genug. Gute Jahre, die besten bisher. Doch dann diese familiäre Vorsehung,
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