Traummann mit Zuckerkuss
innerhalb eines Monats gestorben. Und ich weiß schon gar nicht mehr, wer das hier ist.«
Er schüttelte den gebrechlichen Kopf.
» Erzähl mir was«, bat Issy rasch, um ihn aufzuheitern. » Zum Beispiel von meiner Großmutter.«
Als sie klein gewesen war, hatte sie so gerne Anekdoten über ihre glamouröse Granny gehört, das war für Marian aber zu schmerzhaft gewesen, also hatte ihr Großvater damit gewartet, bis nur noch sie beide da waren.
» Nun«, begann Joe, und sein zerfurchtes Gesicht nahm angesichts der altbekannten Geschichte einen entspannten Ausdruck an. » Also, ich habe damals in der Bäckerei gearbeitet, und sie kam herein, um ein Cremehörnchen zu kaufen.«
Er wartete auf das beifällige Lachen, das auch prompt von Issy kam. Eine der Schwestern lief vorbei, steckte den Kopf zur Tür herein und blieb stehen, um mitzuhören.
» Und ich kannte sie natürlich– damals kannte jeder jeden. Sie war die jüngste Tochter des Hufschmieds, stammte also aus gutem Hause. Einen Bäckereigehilfen wie mich würdigte die keines Blickes.«
» Hm.«
» Aber dann stellte ich irgendwann fest, dass sie ziemlich oft vorbeikam, fast jeden Tag, dabei übernahmen solche Gänge damals die Hausangestellten. Und dann habe ich damit angefangen, ihr hier und da ein bisschen zusätzlich was in die Tüte zu stecken. Ein Stückchen Marmeladenkuchen, den ich übrig hatte, oder ein paar Milchbrötchen.
Und dann fiel es mir irgendwann auf– oh, das war zu schön. Ich meine, in jener Zeit waren die Frauen zierliche kleine Dinger, nicht diese riesigen Ackergäule, die heutzutage Tag und Nacht den Flur entlangstampfen«, fügte er mit Nachdruck hinzu. » Pscht«, machte Issy rasch, die recht üppig gebaute Krankenschwester lachte jedoch nur kopfschüttelnd.
» Aber dann begann sie schließlich, ein wenig zuzunehmen– nur ein ganz kleines bisschen an den richtigen Stellen, du weißt schon, am Hinterteil und obenrum. Und ich hab so bei mir gedacht, das liegt an meinem Kuchen. Sie hat für mich zugelegt. Und auf die Art und Weise wusste ich, dass sie Interesse an mir hatte. Denn wenn sie hinter irgendeinem anderen Burschen her gewesen wäre, dann hätte sie auf ihre Figur geachtet.«
Er lächelte zufrieden.
» Also hab ich zu ihr gesagt: ›Ich hab ein Auge auf dich geworfen.‹ Und sie hat mich angesehen und ganz keck gemeint: ›Tja, warum auch nicht?‹, und ist aus dem Laden stolziert wie Rita Hayworth. Da hatte ich keine Zweifel mehr. Und dann kam sie am Samstag zum Tanzabend der Royal Academy of Fine Arts und war schick herausgeputzt. Meine Freunde und ich drückten uns dort herum, um zu sehen, ob wir vielleicht welche von den neuen Ladenmädchen treffen würden, und dann sah ich sie mit ihren eleganten Freundinnen da stehen und lachen und mit einigen von den feinen Pinkeln. Und ich hab zu meinen Freunden gesagt: ›Wisst ihr was, ich fordere sie trotzdem zum Tanzen auf!‹ Da, wo wir normalerweise tanzen gingen, da hätten wir sie nie angetroffen, o nein. Das war an dem Abend wirklich pures Glück. Also bin ich zu ihr rübergegangen, und sie sagte…«
» ›Eigentlich dachte ich ja, deine Haare wären weiß‹«, fiel Issy mit ein, die die Geschichte schon hundert Mal gehört hatte.
» Und dann hat sie die Hand ausgestreckt und mich am Haar berührt. Ich denke, da war alles klar.«
Issy hatte Fotos von der Hochzeit ihrer Großeltern gesehen. Er war ein attraktiver Mann gewesen, groß, mit vollem Lockenkopf und einem schüchternen Lächeln. Und ihre Großmutter war die reinste Wucht gewesen.
» Und dann fragte ich sie: ›Wie heißt du denn?‹, obwohl ich das natürlich genau wusste. Und dann sagte sie…«
» Isabel«, führte Issy seinen Satz zu Ende.
» Isabel«, nickte ihr Großvater.
Jetzt zupfte Issy an ihrem Rock herum wie ein kleines Mädchen.
» Aber warst du dir denn so sicher?«, fragte sie eindringlich. » Ich meine, wusstest du es sofort? Dass ihr euch verlieben und heiraten und Kinder kriegen würdet und dass du sie für immer lieben würdest und alles gut werden würde? Na ja, ich meine, bis…«
» Wir hatten immerhin zwanzig gemeinsame Jahre«, wandte ihr Großvater ein und tätschelte ihr die Hand. Issy hatte die Frau, nach der sie benannt war, nie kennengelernt. Sie war gestorben, als Issys Mutter fünfzehn gewesen war. » Das war eine wunderbare, glückliche Zeit. Hier wohnen viele Leute, die sechzig Jahre lang mit jemandem verheiratet waren, den sie nicht ausstehen konnten. Ich kenne
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