Traummann mit Zuckerkuss
Fenster zierte nun eine rosa-weiß gestreifte Markise, die bei gutem Wetter hübsch und frisch aussah und zu Grampas Tischen und Stühlen passte. Bei diesem Sonnenschein wirkte ihr Schatten unglaublich einladend, der Schlüsselanhänger glänzte, und die Pflanzen, die Pearl neben dem Eingang aufgestellt hatte, verstärkten diesen gemütlichen Effekt nur noch. Issy blinzelte die Tränen weg. Sie durfte nicht schon wieder weinen. Aber es fiel ihr schwer sich vorzustellen, ihre kleine Oase woanders wieder aufzubauen. Das hier war ihr Winkel der Welt, ihr kleines Königreich. Und jetzt würden sie das Lokal schließen, es niederreißen und dann irgend so eine blöde Garage für bescheuerte überteuerte Manager-Apartments daraus machen…
Issy schlenderte zum Laden des Eisenwarenhändlers hinüber. Was wollte er wohl dagegen unternehmen? Hatten sie sich ihn auch vom Hals geschafft, oder war es ihm irgendwie gelungen, diesem Schicksal zu entkommen? Sie wusste nicht einmal, ob Mr Barstow sein Vermieter war.
Jetzt, um zehn Uhr morgens, hatte der Laden immer noch zu. Issy kniff die Augen zusammen und versuchte, durch die Metalljalousie hindurch etwas zu erkennen. Was verbarg sich bloß dahinter? Der Rollladen aus Metall hatte kleine Löcher, aber bei diesem grellen Sonnenschein konnte sie kaum etwas erkennen. Sie konzentrierte sich. Als sich ihre Augen nach und nach an das Dämmerlicht gewöhnten, konnte sie auf der anderen Seite der Scheibe dunkle Schatten erkennen. Auf einmal bewegte sich ein heller Umriss.
Issy stieß einen Schrei aus und machte einen Satz weg von der Jalousie. Die begann sich plötzlich mit ohrenbetäubendem Lärm automatisch zu öffnen. Es musste jemand im Inneren des La dens sein– jemand, den sie vermutlich kannte. Sie schluckte.
Nachdem sich der Rollladen ganz hochgefahren hatte, wurde die Tür von innen geöffnet, und da stand der Eisenwarenhändler. Im Schlafanzug. Issy war völlig perplex. Sie brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder zu fangen
» Wohnen Sie etwa hier?«, fragte sie verblüfft. Chester nickte auf seine förmliche Art und bat sie hinein.
Als Issy nun zum ersten Mal den Eisenwarenladen betrat, war sie völlig platt. Im vorderen Bereich befanden sich zwar Töpfe und Pfannen, Mopps und Schraubenzieher. Hinten lag jedoch ein exquisiter Perserteppich, auf dem ein holzgeschnitztes balinesisches Doppelbett stand. Daneben entdeckte sie einen kleinen Nachttisch mit einem Stapel Bücher und einer Tiffany-Lampe, außerdem einen großen Schrank mit verspiegelter Tür. Issy musste zweimal hinsehen.
» O mein Gott«, murmelte sie. » Sie… Sie wohnen hier ja tatsächlich.«
Chester sah beschämt drein. » Hm, ja. Ja, das stimmt. Normalerweise hängt hier tagsüber ein Vorhang… oder ich mache einfach zu, wenn sich potenzielle Kunden nähern. Kaffee?«
Ganz hinten gab es eine kleine, blitzblanke Kochnische. Auf dem Herd blubberte eine teure Gaggia-Kaffeemaschine vor sich hin und verströmte einen wunderbaren Duft.
» Hm, ja«, stimmte Issy zu, obwohl sie schon viel zu viel Koffein intus hatte. Aber dieser Ort, Aladins kleine Höhle, kam ihr so unwirklich vor. Der Mann führte sie zu einem geblümten Sessel.
» Setzen Sie sich doch bitte. Also wissen Sie, Sie haben mir das Leben ganz schön schwer gemacht.«
Issy schüttelte den Kopf. » Aber ich bin jahrelang an diesem Gässchen vorbeigekommen, und Ihr Geschäft war doch schon immer da.«
» O ja«, bestätigte Chester. » Genau. Ich wohne hier seit neunundzwanzig Jahren.«
» Sie wohnen seit neunundzwanzig Jahren in diesem Laden?«
» Und bisher hat mich noch nie jemand belästigt«, sagte er. » Das ist eben das Schöne an London.«
Jetzt fiel Issy wieder der Akzent auf.
» Niemand schert sich hier darum, was die anderen so tun. Das mag ich. Natürlich nur, bis Sie gekommen sind. Das ganze Hin und Her, und dann wollten Sie mir Kuchen spendieren und hatten tausend Fragen. Und all die Kunden! Sie haben zum ersten Mal Leute hierhergebracht.«
» Und jetzt…«
» Ja, jetzt müssen wir fort.« Der Mann blickte auf das Kündigungsschreiben in seiner Hand. » Ach, irgendwann wäre es ohnehin so weit gewesen. Wie geht es Ihrem Großvater?«
» Ehrlich gesagt wollte ich ihn längst wieder besuchen.«
» Oh, gut. Kann man sich denn mit ihm unterhalten?«
» Kaum«, murmelte Issy. » Aber mir geht es danach immer besser. Ich weiß, das ist ganz schön egoistisch.«
Chester schüttelte den Kopf. » Ist es nicht, und das wissen
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