Traummann mit Zuckerkuss
Prognosen. Sie wissen, wie hart das Business ist. Deshalb wird meine Ankündigung für Sie zwar schwer, ich weiß aber, dass Sie diesen Schritt verstehen und nicht für unfair halten.«
Inzwischen hätte man in dem Büro eine Stecknadel fallen hören können. Issy schluckte geräuschvoll. In gewisser Weise war es ja gut, dass Graeme nicht um den heißen Brei herumredete und alle direkt informierte. Es gab nichts Schlimmeres, als in einem Büro zu arbeiten, in dem die Chefetage mauerte und ein Klima aus Angst und Misstrauen herrschte. Für Immobilienmakler waren sie hier erstaunlich offen und ehrlich.
Aber trotzdem hätte sie gedacht, dass ihnen noch etwas mehr Zeit blieb. Nur ein wenig. Dass man ausharren und schauen würde, ob sich die Lage erholte, oder bis zum Frühling abwartete. Oder unter den Partnern abstimmen würden, oder… Voller Entsetzen wurde Issy mit einem Mal klar, dass diese Entscheidung auf höherer Ebene schon vor Monaten in Rotterdam, Hamburg oder Seoul getroffen worden war. Das war jetzt nur die Umsetzung. Der Part, der die kleinen Leute betraf.
» Es gibt leider keine nette Art und Weise, das zu sagen«, gab Graeme zu. » In der nächsten halben Stunde kriegt jeder von Ihnen eine E-Mail, in der er darüber informiert wird, ob er hierbleibt oder nicht. Wer gehen muss, dem versichere ich, dass wir die Sache so nüchtern wie möglich abwickeln und uns als sehr großzügig erweisen werden. Mit diesen Kollegen treffe ich mich dann um elf im Sitzungsraum.« Er warf einen Blick auf seine Montblanc.
Issy sah plötzlich Callie, die Chefin der Personalabteilung vor sich und ihren Finger, der über der Taste zum Absenden der E-Mails verharrte wie ein Läufer an der Startlinie.
» Lassen Sie mich noch einmal sagen«, betonte Graeme, » dass es mir wirklich leidtut.«
Er zog sich in den Sitzungsraum zurück. Durch die Lamellen der Jalousie konnte Issy sehen, wie er seine hübsche Nase in seinen Laptop steckte.
Mit einem Mal baute sich eine panische Geräuschkulisse auf. Alle fuhren so schnell wie möglich ihren Computer hoch und aktualisierten ihr E-Mail-Programm im Sekundentakt, während sie leise vor sich hinmurmelten. Das waren jetzt nicht mehr die Neunziger- oder Nuller-Jahre, in denen man mal eben so den Job wechseln konnte: Eine Freundin von Issy war innerhalb von achtzehn Monaten bei zwei Jobs wegrationalisiert worden. Die Anzahl der freien Stellen, die Anzahl der Unternehmen– das schien immer mehr abzunehmen. Auf jedes Jobangebot kamen mehr Bewerber, und das, wenn es überhaupt Ausschreibungen gab; ganz zu schweigen von den vielen Schulabgängern und Uniabsolventen, die jeden Monat den Markt überschwemmten… Issy versuchte, keine Panik aufkommen zu lassen, aber dafür war es schon zu spät. Sie hatte die Zähne längst in einen Cupcake geschlagen und achtlos Krümel über die Tastatur verteilt. Sie musste atmen. Atmen. Vor zwei Tagen noch hatten Graeme und sie zusammen in ihrer sicheren, gemütlichen kleinen Welt unter seiner dunkelblauen Ralph-Lauren-Bettdecke gesteckt. Ihr würde nichts zustoßen. Nichts. Neben ihr hieb François wütend in die Tasten.
» Was machst du da?«, fragte sie.
» Meinen Lebenslauf aktualisieren«, knurrte er. » Ier abe isch nichts mehr zu erwarten.«
Issy schluckte und griff nach dem nächsten Cupcake. Und genau in diesem Moment piepste ihr Computer.
Liebe Miss Issy Randall,
es tut uns leid, Sie darüber informieren zu müssen, dass die Leitung von Kalinga Deniki CP aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs und der Tatsache, dass in diesem Jahr für die Londoner City auch keine Aussicht auf eine Konjunktur im Bereich der Immobilienentwicklung besteht, beschlossen hat, den Posten der Büromanagerin unseres London er Büros mit sofortiger Wirkung zu streichen. Suchen Sie b itte um 11.00Uhr Sitzungsraum C auf, um mit Ihrem Vo rg esetzten Graeme Denton Ihre weiteren Optionen zu besp rechen .
Mit freundlichen Grüßen,
Jaap Van de Bier
Personalabteilung Kalinga Deniki
» Das war offensichtlich so eine Vorlage«, erklärte Issy später, » in der sie nur noch die Einzelheiten ergänzen mussten. Die haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, jedem ein paar persönliche Zeilen zu schicken. Auf der ganzen Welt hat jeder die gleiche Nachricht bekommen. Du verlierst deine Arbeit, dein ganzes Leben geht den Bach runter, aber das Schreiben wurde mit weniger Liebe gestaltet als diese Benachrichtigungen, die einen an den nächsten Zahnarzttermin erinnern.« Sie
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