Traummoerder
nun wartete er bereits seit achtzehn Monaten auf das nächste Werk und fragte sich allmählich, ob er das Geld des Unternehmens für ein Versprechen verschwendet hatte, das Nolan niemals einlösen würde.
An dem schicksalhaften Tag, an dem Dermot das Tagebuch in die Hände fiel, kam er gerade von einem Termin mit seinem Finanzberater zurück. Auf keinen Fall etwas kaufen, sondern abstoßen, was noch übrig war, hatten Dermots Instruktionen gelautet.
Als er wenige Blocks vom Pershing Square entfernt auf den Linley Place einbog, fiel ihm sofort ein alter Mann mit zerlumptem langem Reitermantel und strähnigen, gräulich orangeroten Haaren auf, der sich an seinem Briefkasten zu schaffen machte. Beim Näherkommen entdeckte er, dass der Mann Mühe hatte, einen dicken Umschlag durch den Schlitz zu schieben.
»He, Sie!«, rief Dermot, als er die Wagentür zuschlug und zu laufen begann.
Der alte Mann drehte sich um, schuldbewusst wie ein Kind, das eine Standpauke von seinen Eltern erwartete. Dermot schrie noch einmal, aber der Stadtstreicher machte sich erstaunlich behände aus dem Staub und ließ den prallen wattierten Umschlag, der nur zur Hälfte im Briefkasten steckte, zurück. Das Kuvert sah aus, als enthielte es ein Manuskript. Bevor Dermots erster bahnbrechender Roman Beneath the Level veröffentlicht worden war, hatte er regelmäßig solche Umschläge von Verlagen und Agenturen zurückbekommen.
Dermot zog das Päckchen aus dem Schlitz des Briefkastens und las die Vorderseite: »Für Dermot Nolan.« Auf der Rückseite stand: »Von Albert K. Arnold.«
Kopfschüttelnd klemmte sich Nolan den Umschlag unter den Arm, ging zur Haustür und tippte den Code in den Zahlenblock des Schlosses. Alle hielten ihn für den neuen Hemingway.
Alex Popov, ein weltberühmter Architekt, hatte das frühere Lagerhaus zu einer luxuriösen Wohnung auf drei Ebenen umgestaltet. Die Böden bestanden aus poliertem Douglastannenholz, die Wände waren cremefarben im Eingangsbereich und weiß in den beiden oberen Etagen. Das Parterre bestand aus einem offenen Wohnraum, einem Arbeitszimmer, einer großen Küche und einem Gästebad. Erlesene Kunstwerke zierten die Wände – ein Scheeler, ein Sciberras, zwei kleine Boyds, ein neuerer Kamrooz Aram und ein einigermaßen handlicher Pollock, den Dermot nach zu viel Veuve Clicquot bei einer Christie’s-Auktion ersteigert hatte. Es war vorgesehen, dass Nick Hoyle, ein enger Freund der Nolans und »Kunsthändler im Auftrag der Reichen und Schönen«, diese Bilder verkaufte.
»Was ist das für ein Päckchen?«, wollte Neela wissen, die gerade aus der Küche kam. Ihr spröder Ton spiegelte den gegenwärtigen Zustand ihrer Ehe wider.
»Keine Ahnung. Ein seltsamer Typ hat versucht, es in unseren Briefkasten zu stopfen. Ich habe ihm etwas zugerufen, doch er ist gleich auf und davon.«
»Lass es zu, wenn es nicht mit der Post gekommen ist«, wies sie ihn unvermittelt an.
»Da hat sie recht, Dermot.« Nick Hoyle kam nach Neela mit einer Flasche Neuseeland Marlborough Sauvignon blanc und drei Gläsern aus der Küche.
Nick war ein guter Freund, seit Dermot ohne jede Wehmut von London nach Kalifornien übersiedelt war. Nick hatte die Ausstrahlung eines Daily-Soap-Stars, auch wenn niemand sagen konnte, wem genau er ähnelte. Seine Augen wirkten ein wenig gehetzt und ernst, das Funkeln jedoch ließ auf Humor und die ständige Bereitschaft zu lachen schließen. Und das, obwohl sein linkes Bein während seiner Armeezeit in Tikrit, Irak, vor ein paar Jahren schwer verwundet worden war. Bei diesem Einsatz hatte er die Tapferkeitsmedaille verliehen bekommen, weil er im Alleingang fünf Kinder aus einem brennenden Schulgebäude gerettet hatte. Zwar war sein Bein zweimal operiert worden, dennoch hinkte er und stützte sich auf einen antiken Stock mit Silberknauf, den er in Londons Silver Vaults erstanden hatte.
Dermot, Nick und Neela hatten gleichzeitig an der UCLA studiert – Dermot Kunst und Naturwissenschaften, Nick bildende Kunst und Neela Medien- und Naturwissenschaften. Dermot lernte Neela in der ersten Studienwoche kennen, und sie verliebten sich während des ersten Semesters. Im selben Jahr war Nick Giselle begegnet – einem bezaubernden Mädchen französischer Herkunft, groß gewachsen, schlank, dunkelhaarig und elegant. Sie studierte Literatur und träumte davon, eine respektierte Literaturagentin zu werden. Dermot, Nick, Neela und Giselle schlössen sich zu einer Viererbande zusammen und wurden
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