Traummoerder
irgendwie nachlässt. Vielleicht, weil es dein Stil und nicht mehr der von Arnold ist.«
»Mein ›Stil‹? Das ist das Problem?«
»Danke für dein Versprechen, dass du mich nicht unterbrichst.«
»Verdammt – willst du damit sagen, dass das Original besser war und dass der Text jetzt, da ich ihm meinen Stempel aufgedrückt habe, nichts mehr taugt?«
»Beruhige dich, Dermot. Das habe ich doch überhaupt nicht gesagt. Und schrei mich nicht an!«
Dermot holte tief Luft. »Okay, tut mir leid. Ich entschuldige mich. Sprich weiter.«
Neela starrte ihn gute zwanzig Sekunden wortlos an, um ihm auszutreiben, dass er noch einmal dazwischenredete. Dann fuhr sie fort: »Die unterschiedlichen Genres sind im Konflikt miteinander. Horror. Thriller. Dokumentarbericht, Fiktion. Realität. Du bist ein sanftmütiger Mensch und hast mit solchen Themen normalerweise nichts zu tun. Dein Stil ist eher romantisch; du beobachtest die Menschen auf intelligente, auf andere Art als der brutale Arnold. Du verstehst doch, was ich meine?«
»Ja«, antwortete Dermot widerwillig. »Aber das heißt nicht, dass ich die menschlichen Seiten, die mir selbst fremd sind, nicht verstehe und nicht darüber schreiben kann. Siehst du das ein?«
»Natürlich. Aber die Stärke des Originals war der harte, gefühllose, amoralische, bösartige Ton. Noch dazu wurde es in Form eines Tagebuchs verfasst – das war ein weiterer Pluspunkt. Arnold beschreibt jedes kleinste abscheuliche Detail, als wäre er nicht imstande, emotional auf die Schrecknisse, die Schreie, das viele Blut zu reagieren. Trotzdem lässt du ihn mit einem Psychologen über seine Empfindungen sprechen. Der Leser muss alles mit den Augen des Psychologen sehen. Das funktioniert nicht.«
»Bei Peter Shaffer in Equus hat es funktioniert.«
»Ich kann dir nur eines sagen: Ich bin der Ansicht, dass es hier nicht funktioniert.«
Sie schaute zu Dermot auf; Tränen traten ihr in die Augen. Nie im Leben hatte sie damit gerechnet, ihm so etwas sagen zu müssen. Ihr war klar, dass dieses Manuskript eine sehr sanfte Version des Originals darstellte, und sie wusste, dass Esther genau das sagen würde, was sie selbst dachte: Hör zu, Dermot. Horrorgeschichten sind nichts für dich. Ich kann wirklich nicht sagen, dass dieser Roman auch nur entfernt deinem Standard entspricht – die Leser werden enttäuscht sein. Bitte vergeude nicht deinen guten Namen.
Dermot ließ sich in einen Sessel fallen. »Also – ich hab’s vermasselt, stimmt’s?«
Neela wählte ihre Worte mit Bedacht. »Das glaube ich nicht. Arnolds Tagebuch hatte, weil er kein Talent zum Schriftsteller besaß, keine Struktur. Es war in dem groben, bösartigen Ton eines Massenmörders und ohne jegliches Mitgefühl verfasst. Du hingegen hast einen Helden in Gestalt des Psychologen geschaffen – jemanden, mit dem sich jeder Leser identifizieren kann. Jemanden, der unserem Entsetzen eine Stimme verleiht. Arnold war ein Antiheld – ein sadistischer Soziopath. Ich hatte gehofft, du gibst mir »unaussprechlichen Horror«, aber stattdessen ist dies hier eine präzise klinische Analyse.« Sie legte eine kurze Pause ein. »Verstehst du, was ich meine?«
»Ja, natürlich.« Dermot klang kleinlaut.
»Wir müssen die Seiten, die du Esther gibst, von jeglichem literarischen Stil befreien.«
Dermot explodierte. »Ach, wirklich? Und was wird sie davon halten? Himmel, sie wird denken, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe!«
»Nein, das wird sie nicht«, schrie Neela zurück. »Sie wird sofort erkennen, dass das ein glänzender Kunstgriff ist. Ein literarischer Trick.«
»Ein Kunstgriff?« Dermot war keineswegs überzeugt.
»Ganz recht. In deiner Brillanz bist du direkt in das Herz eines Mannes vorgedrungen, den wir bisher nicht kannten. Du hast dir seine Sprache zu eigen gemacht, so dass wir erfahren, wie der Typ tickt. Wir sind in der Lage, uns seine gefühllosen, genauen Schilderungen von Folter, Verstümmelung und Mord anzuhören. Wir können ihm in die Seele schauen. Und das ist das Gruseligste, was wir jemals tun werden. Das ist großartig. Das wird Esther und deinen Lesern einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagen!«
Dermot hatte Mühe zu begreifen, was Neela ihm sagen wollte, dennoch ergab es einen Sinn. Es war ihm gewaltig gegen den Strich gegangen, mehr zu tun, als die Schrecknisse durch eine dritte Person – den Psychologen – zu filtern, damit der Autor eine Entschuldigung dafür vorbringen konnte, dass er
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