Traummoerder
Dermot«, sagte Vitek und streckte ihm die Hand hin. »Sheila wird sie hinausbegleiten. Und vielen Dank für das Buch. Bisher hatte ich noch nicht die Gelegenheit, es zu lesen – aber ich habe bald Urlaub, und dies ist die perfekte Lektüre für einen langen Flug.«
»Ist mir ein Vergnügen.« Dermot brachte ein mattes Lächeln zustande. »Diese Radiointerviews sind tatsächlich anstrengender, als ich dachte.«
»Sind Sie sicher, dass Sie sich gut fühlen? Kann Ihnen Consuela irgendetwas holen?«, bot Vitek an. »Sie sind ein bisschen grün um die Nase.«
»Ich glaube, ich habe gestern etwas Verdorbenes gegessen. Wahrscheinlich eine milde Form von Lebensmittelvergiftung. Vorhin hatte ich Angst, dass ich mich während der Sendung übergeben müsste. Wahrscheinlich schwitze ich deswegen so sehr. Tut mir leid.«
»Ja – am besten gehen Sie schnell heim und ruhen sich aus. Schlaf ist immer noch die beste Medizin.«
Kapitel 37
Reggie Helpmann hatte seine Wohnung in Glendale seit fünfzehn Jahren nicht mehr verlassen. Seit der Kindheit neigte er zu Agoraphobie, aber im Laufe der Jahre hatte sich sein Zustand sehr verschlechtert. Irgendwann setzten die Träume ein. Schreckliche Träume, die ihn so verängstigten, dass er sich seit seinem dreißigsten Geburtstag weigerte, weiter weg zu gehen als bis zum Laden an der Ecke. Die Träume blieben, wurden immer lebhafter und furchterregender. An seinem zweiundvierzigsten Geburtstag beschloss Reggie, sein Apartment nie wieder zu verlassen. Für Alice, seine Frau, war das eine traurige Entwicklung. Es war das Ende für jede Urlaubsreise, jede Dinnerparty bei Freunden und für Tage am Strand.
Deshalb verlieh ihr der Flyer, den sie in ihrem Briefkasten gefunden hatte, neue Hoffnung. Es gab jemanden, der unter Albträumen Leidenden Linderung verschaffte, jemanden, der möglicherweise auch bei Reggies Phobie helfen konnte.
Sie setzte sich neben ihren Mann an den Computer und tippte den Domain-Namen ein: Innerhalb weniger Sekunden waren sie auf der Website. Ihr gefiel die Homepage – all die nackten Sünder in Boschs Kunstwerk –, doch die kehlige Stimme des Mannes, der sich als Traumheiler vorstellte und fragte, wieso er gleich mit zwei Menschen sprechen sollte, beunruhigte sie.
»Mein Name ist Alice Helpmann. Ich persönlich brauche Ihre Hilfe nicht. Es geht um meinen Mann Reggie.«
»Beschreib mir deinen Albtraum, Reggie.«
»Ich träume, dass ich an einem einsamen Strand spazieren gehe. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Ich habe schreckliche Angst. Es ist die Weite. Der unendliche, leere Raum.«
Der Traumheiler schnaubte ungehalten. »Das ist eine Form von Agoraphobie, Reggie. Solche Albträume kommen oft vor. Du musst häufiger aus dem Haus gehen.«
Alice hielt es nicht für angebracht, dass sich der Traumheiler über Reggie lustig machte, aber sie biss sich auf die Zunge. »Mein Mann ist seit fünfzehn Jahren nicht mehr in der Lage, das Haus zu verlassen.«
Schweigen.
»Leben Sie in der Nähe des Meers, Mrs. Helpmann?«
»Nein, wir wohnen in Glendale. In der Butler Street.«
Die Verbindung brach unvermittelt ab; Alice ging zurück zum Internet Explorer und tippte noch einmal den Namen der Website ein, aber sie bekam nur die Nachricht, dass die Seite, die sie suchte, nicht verfügbar sei. Sie ärgerte sich. Genau wie Reggie.
»Keine Sorge, Liebling. Wir versuchen es später noch mal.«
Aber Alice gelang es nie mehr, zu www.worstnightmares.net durchzukommen. Man konnte die Seite nicht mehr anklicken. Noch eigenartiger war, dass sich Reggie eine Woche später entschied, das Haus zu verlassen und einen Spaziergang zu wagen – zumindest dachte Alice das, als sie vom Supermarkt nach Hause kam und ihr Mann fort war. Achtundvierzig Stunden später, in denen sie nichts von Reggie gesehen oder gehört hatte, meldete sie sich bei der Polizei, die Reggie als vermisst einstufte.
Kapitel 38
Dermot ging auf und ab und rang die Hände. Er war schon beim dritten Scotch. Neela stand am Fenster und schaute hinaus. Nick saß auf dem Sofa.
»Das war er’. Ihr habt ihn in der Sendung selbst gehört!«, kreischte Dermot außer sich. »Diese Stimme – sie ist unverwechselbar. Aber eine Stimme aus dem Grab? Verdammt, das kann doch nicht sein’.«
Neela drehte sich zu ihm um. »Dermot, beruhige dich. Alle Nachbarn in der Straße können dich hören.«
»Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Die ganze Sache fliegt uns sowieso um die Ohren. Lieber Gott! Er ist
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