Traummoerder
Dermot etwas fragen?«
»Ja, das möchte ich. Meine Frage lautet: Ist es Ihre eigene Meinung, dass man echtes Leid nicht kennt, wenn man nicht einen persönlichen Verlust erlitten hat?«
Plötzlich brauchte Dermot Luft. Die Stimme. Das war dieselbe Stimme! Aber Arnold war tot. Er hatte selbst den Sturz gesehen und neben dem zerschmetterten Toten gestanden.
Dermot atmete tief ein. »In gewisser Weise … ja, ich denke schon«, antwortete er ruhig. »Kinder, die nie den Verlust eines Angehörigen erlebt haben, können gar nicht abschätzen, wie stark sich ein solcher Verlust auswirkt«, antwortete er ruhig. Er wollte nicht während einer Sendung die Nerven verlieren.
»Das gilt auch für Autounfälle«, warf Vitek ein. »Die Leute fahren wie die Verrückten, bis ein Familienmitglied im Straßenverkehr ums Leben kommt, dann werden sie vorsichtiger.«
»Ich habe Mr. Nolan gefragt, nicht Sie«, herrschte Arnold ihn an.
Vitek schnitt eine Grimasse, wechselte einen Blick mit dem Producer hinter der Glasscheibe und flüsterte tonlos: Ungehobelter Bastard.
»Ist es angebracht, dass normale Menschen die Realität extremen Leids kennenlernen, wie Sie es in Ihrem Buch darstellen, Mr. Nolan?«
Dermot versuchte sich zusammenzunehmen. »Ich denke, ein Schock hinterlässt Wirkung«, erwiderte er.
»Damit wir den Moment des eigenen Todes zu schätzen wissen? Wollen Sie das damit sagen?«
Ein anderes Bild blitzte in Dermots Bewusstsein auf: Phoebe Blasés Mund, der mit einer Drahtzwinge offengehalten wurde, und eine Zange zerrt an einem Backenzahn.
Vitek sprang hilfreich ein, als sich ein Schweißtropfen von Dermots Schläfe löste und über die Wange rollte. »Vermutlich möchte Arnold damit sagen, dass man nicht mit den grausigen Details einer gewaltsamen Folter, wie sie in Worst Nightmares geschildert werden, konfrontiert werden muss, um zu wissen, dass das … nun ja, grausam und entsetzlich ist.«
Vitek nickte Dermot zu, um ihm zu signalisieren, dass er den Ball, den er ihm gerade zugespielt hatte, aufgreifen sollte. Aber Dermot hatte Mühe, das Bild von Phoebe Blasés Mund loszuwerden.
»Ah …«, versuchte er es. »Ich glaube, es ist die Zeit, in der wir leben. Die Leute sind fasziniert von Verbrechen. Sie erleben Tag für Tag Gewalt. Und immer mehr Leute wollen auch im Kino Makaberes …«
»Ich danke Ihnen für Ihre Frage«, fiel ihm Vitek ins Wort und schaltete zum nächsten Anrufer. »Jetzt haben wir Jeff in der Leitung.«
Dermot trank einen Schluck Wasser.
»Guten Morgen, Mr. Nolan. Ich habe heute in Ihrem Buch gelesen. Eine tolle Sache.«
»Danke, Jeff«, sagte Dermot und atmete erleichtert auf, weil er wieder mit harmlosen Fragen rechnen konnte.
Es war ihm nahezu unmöglich, sich zu konzentrieren. Er konnte an nichts anderes als an Albert K. Arnold denken, der von den Toten auferstanden war. Aber das konnte nicht sein! War das der Komplize? War all das wirklich passiert? Ein neuer Albtraum entfaltete sich. Dermot zwickte sich, um sich in die Realität zu bringen und dem neuen Anrufer zuzuhören.
»Gestern ist einem Freund von mir etwas Komisches passiert. Im Topanga National Park. Waren Sie dort schon mal, Mr. Nolan? Ich hab gehört, es ist wirklich schön da.«
»Nein«, antwortete Dermot – sein Mund war plötzlich trocken wie die Wüste Gobi. »Welche Frage haben Sie?«
»Nun, ein Freund erzählte mir, dass er dort zwei Pfähle gesehen hat. Zwei – genau wie in Ihrem Buch. Das Paar in Kapitel … welches Kapitel war es noch mal?«
»Zwölf«, entgegnete Dermot.
»Stimmt. Das ist ein unglaublicher Zufall, finden Sie nicht auch? Ich fahre hin, um mir das selbst anzusehen.« Er machte eine kurze Pause. »Sie sagten, Sie waren nie dort, richtig?«
»Richtig.«
»Waren Sie schon mal in Shute?«
Dermot glaubte, sich übergeben zu müssen. Er holte tief Luft und tat so, als würde er in seinem Gedächtnis kramen. »Shute? Das kommt mir nicht bekannt vor. Nein.«
»Und was ist mit dem Van Nuys Airport? Dort in der Gegend sind zwei Menschen aus einem Flugzeug gestürzt – genau wie das Paar aus Ihrem Buch in Sydney.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich«, bestätigte Schipp.
»Schön«, mischte sich Vitek ein. »Wir belassen es dabei, Jeff. Wir machen jetzt eine Pause und sind nach den Nachrichten wieder auf Sendung.«
Dermot nahm die Kopfhörer ab. In seinem Kopf drehte sich alles, und er schwitzte. Das Wichtigste war jetzt, möglichst ruhig zu erscheinen.
»Danke, dass Sie hergekommen sind,
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