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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Schlange aus Dahomey, einen Druck mit dem Pferd des Propheten und einen Brief von einem Jungen aus Burundi, der sich bei ihm für einen Fußball bedankte. Jedesmal brachte er etwas Neues mit und warf etwas Altes fort, das seine Bedeutung verloren hatte.
    Alan Brady hatte nur eine Angst: daß sie ihn bald pensionieren würden.
    *
    Wenn jeder Säugling Gefallen an der Vorwärts bewegung findet, muß man als nächstes herausfinden, warum er es nicht ertragen kann, still dazuliegen.
    Nach einer genaueren Untersuchung der Ursachen für Angst und Zorn bei den ganz jungen Menschen kam Dr. Bowlby zu dem Schluß, daß die komplexen instinktiven Bande zwischen einer Mutter und ihrem Kind – die Entsetzensschreie des Kindes (ganz anders als das Wimmern aufgrund von Kälte, Hunger oder Krankheit), die »unheimliche« Fähigkeit der Mutter, diese Schreie zu hören, die Angst des Kindes vor dem Dunkeln und vor Fremden, sein Grauen vor schnell nahenden Gegenständen, seine Alpträume von bedrohlichen Ungeheuern, wo nichts dergleichen existiert – kurz: daß all die verwirrenden »Phobien«, die Freud vergeblich zu erklären versuchte, tatsächlich durch die ständige Anwesenheit von Raubtieren im urzeitlichen Lebensbereich des Menschen erklärt werden könnten.
    Bowlby zitiert aus William James’ Prinzipien der Psychologie: »Die wichtigste Quelle des Schreckens in der Kindheit ist Einsamkeit.« Ein einsames Kind, das in seinem Bettchen schreit und strampelt, demonstriert daher nicht zwangsläufig die ersten Anzeichen von Todeswunsch, Machtwillen oder eines »aggressiven Triebs«, der es dazu bringt, seinem Bruder die Zähne einzuschlagen. All dies mag sich später entwickeln oder auch nicht. Nein. Das Kind schreit – wenn man das Bettchen in das afrikanische Dornengestrüpp stellt –, weil es, wenn die Mutter nicht in wenigen Minuten zurückkommt, von der Hyäne geschnappt werden wird.
    Jedes Kind scheint eine angeborene innere Vorstellung von der »Sache« zu haben, von der es angegriffen werden könnte: so stark, daß jede bedrohliche »Sache«, selbst wenn es nicht die wirkliche »Sache« ist, eine vorhersehbare Sequenz defensiven Verhaltens auslösen wird. Die Schreie und das Strampeln sind die erste Verteidigungsstrategie. Dann muß die Mutter darauf vorbereitet sein, für das Kind zu kämpfen, und der Vater, für sie beide zu kämpfen. In der Nacht ist die Gefahr doppelt so groß, weil der Mensch nachtblind ist und die Raubkatzen nachts jagen. Und ist dieses äußerst manichäische Drama – von Licht, Finsternis und dem wilden Tier – nicht das Kernproblem der menschlichen Existenz?
    Besucher der Säuglingsstation eines Krankenhauses wundern sich oft über die Stille. Doch wenn die Mutter ihr Kind wirklich verlassen hat, ist seine einzige Chance, zu überleben, daß es stumm bleibt.

33
    W ie versprochen kam Red Lawson nach Cullen gefah ren, um die verlorene Planierraupe zu suchen. Er kam mit dem Polizeifahrzeug; und um die Cullen-Sippe von der Ernsthaftigkeit seiner Absichten zu überzeugen, erschien er in voller Ausrüstung, in Khaki, mit allen seinen Rangabzeichen und einem Hut, den er entschlossen unter dem Kinn festgebunden hatte. Seine Strümpfe spannten sich so um seine Waden, daß es aussah, als würden sie plat zen.
    Am Nachmittag machte er in der Siedlung die Runde, aber er erlitt eine Schlappe. Niemand hatte von der Planierraupe gehört. Niemand wußte, was eine Planierraupe war, ausgenommen Clarence, der Vorsitzende, der in Zorn geriet und sagte, er verwechsle Cullen mit einem anderen Ort. Selbst Joshua stellte sich dumm.
    »Was jetzt?« fragte Red Rolf.
    Er saß auf einer Kiste im Laden und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Laß uns auf Old Alex warten«, sagte Rolf. »Er wird es wissen. Und so wie ich ihn kenne, haßt er die Planierraupe und will sie weghaben.«
    Alex war wie üblich auf Buschwanderung, sollte jedoch bei Sonnenuntergang zurück sein – und das war er auch.
    »Den überlaß mir«, sagte Rolf und ging fort, um mit ihm zu sprechen.
    Alex hörte zu. Dann, mit einem unmerklichen Lächeln, zeigte er mit einem knochigen Finger nach Nordosten.
    Reds Leidenschaft für Spinoza wurde beim Aben dessen verständlicher, als er uns erzählte, daß seine Mutter eine Jüdin aus Amsterdam war. Sie hatte als einzige der Familie die Nazi-Besetzung überlebt, auf dem Dachboden nichtjüdischer Nachbarn versteckt. Als die Rohlinge fort waren und sie ungehindert durch die Straßen gehen konnte, hatte

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