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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Leichenfressergebräuchen, die alle auf dieses gemeinsame blutrünstige Merkmal zurückgehen, diese räuberische Angewohnheit, dieses Kainsmal, das die Ernährung des Menschen von der seiner äffischen Verwandten unterscheidet und ihn in eine Reihe mit den gefährlichsten Raubtieren stellt.
     
    Schon der Stil verrät, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung ist.
    *
    Berkeley, Kalifornien, 1969
    In People’s Park wurde ich von einem vorzeitig gealterten Hippie angehauen.
    »Hört mit dem Morden auf!« sagte er. »Hört mit dem Morden auf!«
    »Du würdest nicht zufällig auch auf den Gedanken kommen«, sagte ich, »einem Tiger zu raten, Tabak zu kauen?«
    Ich stand auf, bereit, das Weite zu suchen.
    »Scheiße!« rief er.
    »Denk an Hitler!« rief ich zurück. »Denk an Rudolf Heß! Beide haben immer im vegetarischen Picknickkorb des anderen geschnüffelt.«
    *
     
    Während der Fastenzeit ist die Zahl der Morde, wurde mir berichtet, höher als in jeder anderen Jahreszeit. Ein Mann unter dem Einfluß einer Bohnendiät (denn sie sind das Hauptgericht der Griechen während ihres Fastens) wird in der rechten Stimmung sein, den Schrein seines Heiligen zu bereichern und seinem Nachbarn ein Messer in den Leib zu stoßen.
    A.W. Kinglake, Eothen
    *
    Witwatersrand-Universität, Johannesburg, 1983
    Feier zum neunzigsten Geburtstag von Professor Raymond Dart in der Fakultät für Anatomie. Der alte Mann schwang eine Hämatithantel, wodurch er seine Stirnlappen in Form zu halten hoffte. Mit gellender Stimme verkündete er, daß bei einem Rechtshänder die linke Hirnhälfte stärker ausgeprägt sei, doch wenn man beide Hände gleichermaßen trainiere, trainiere man beide Hälften des Gehirns.
    Zwei schwarze Studenten tauchten vorsichtig Kekse in ihre Teetassen und kicherten.
    Nach der Feier führten mich zwei jüngere Kollegen Darts durch einen Flur, um mir das Taung-Kind zu zeigen. Ein erstaunliches Exemplar! Ich hatte das Gefühl, als starre eine sehr kluge kleine Person aus uralten Zeiten durch ein Fernglas zu mir her.
    Der Bruch am Schädel, sagten sie, habe nichts mit Gewaltanwendung zu tun. Bevor er zum Fossil wurde, sei der Schädel schlicht und einfach durch die Last der sich über ihm ansammelnden Gesteinsmassen eingedrückt worden.
    Sie erlaubten mir, die »zerschmetterte Kinnlade« des Jungen von Makapansgat in die Hand zu nehmen. Sie war grauschwarz, nicht vom Kochen, sondern von Magnesiumflecken. Auch in diesem Fall, sagten sie, könne die Beschädigung nur durch ein »Scheren« verursacht worden sein, eine Folge der Senkung von Gesteinsablagerungen.
    Soviel zu den Hirngespinsten, die sich auf die Beweiskraft dieser beiden Exemplare gründeten.
    *
    Swartkrans, Transvaal
    Mit »Bob« Brain einen Tag lang bei Ausgrabungen in der Swartkrans-Höhle: er arbeitete seit neunzehn Jahren dort. Ich stand oberhalb des Höhlenschachts und sah in der einen Richtung über eine weite Grashügellandschaft zum High Veldt und in der anderen auf die glänzenden Dächer der Sterkfontein-Grabungsstätte und die riesigen Erdaufhäufungen der Krugersdorp-Mine dahinter.
    Der Boden war von kleinen gezackten Steinen zerklüftet, die das Gehen erschwerten. Eine scharlachrote Aloe stand in Blüte, aber es gab keine Bäume, zumindest nicht in der Ebene. Im Höhleneingang reckte sich der fleckige Stamm des Stinkbaums in die Höhe, dessen Blätter bei den Ausgrabungen Schatten spendeten. Nur an geschützten Stellen können Sämlinge Buschfeuer und Frost überstehen.
    Brain zeigte mir die Breccie, die so viele Fossilien der muskulösen, »King-Kong-ähnlichen« Form des Australopithecus, A. robustus, freigegeben hatte: eine Kreatur, die vor über zwei Millionen Jahren mit dem ersten Menschen, Homo habilis, gemeinsam in diesem Tal gelebt hat.
    George, der Vorarbeiter, war ein erfahrener Ausgräber. Er grub jeweils dreißig Kubikzentimeter aus und schüttete den Inhalt durch ein Drahtsieb. Brain nahm jedes einzelne Knochenfragment und untersuchte es unter einem Vergrößerungsglas.
    In der Mittagshitze blieben wir in seiner Hütte. Auf dem Bücherregal stand ein Exemplar von Sir Thomas Brownes Religio Medici. Hier hatte Brain den größten Teil seines Buchs The Hunters or the Hunted? geschrieben – die spannendste Kriminalgeschichte, die ich je gelesen habe.
    Brain, der Direktor des Transvaal-Museums in Pretoria, ist ein ruhiger, nachdenklicher, zurückhaltender Mann von as ketischen Überzeugungen und grenzenloser Geduld. Sein Vater war ein

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