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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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und Mitte Sechzig. Er hatte sandfarbene, ergrauende Koteletten und klare blaue Augen. Sein Name war Alan Brady. Man sah auf den ersten Blick, daß er ein sehr glücklicher Mensch war.
    Mr. Rasikh war der offizielle Einkäufer der sudanesischen Regierung in London. Er lebte in einem Apartment im obersten Stock eines Hochhausblocks im Victoria-Viertel. Sein Bart war mit Henna gefärbt, und er trug weiße Galabiyas und einen nachlässig gebundenen weißen Turban. Er hing ununterbrochen am Telefon, um sich bei Wettbüros Tips für Pferderennen zu holen, und schien nie auszugehen. Hin und wieder hörte man die Schritte seiner Frauen in einem anderen Zimmer.
    Sein Freund Brady war Handlungsreisender für eine Firma, die Schreibmaschinen und Büroeinrichtungen herstellte. Er hatte Kunden in über dreißig afrikanischen Ländern und besuchte sie einen nach dem anderen alle vier Monate.
    Er sagte, er ziehe die Gesellschaft von Afrikanern der von Weißen vor. Es sei ein Vergnügen, Geschäfte mit ihnen zu machen. Es werde immer behauptet, man könne mit Afrikanern unmöglich Geschäfte machen, weil sie immer etwas umsonst haben wollten.
    »Aber glauben Sie mir«, sagte mir Brady, »sie sind viel unkomplizierter als meine Kollegen in der Firma.«
    In zwanzig Geschäftsjahren hatte er nur zweimal unbeglichene Außenstände gehabt. Er machte nie Urlaub. Er hatte keine Angst vor Revolutionen oder afrikanischen Fluggesellschaften.
    Er kam dreimal im Jahr nach London, nie für länger als eine Woche, und wohnte in einem Kabuff, das die Firma für ihre Vertreter reserviert hatte. Weil er keine Winterkleidung besaß, versuchte er diese Besuche so einzurichten, daß er das schlimmste Wetter vermied: im November, im März und im Juli.
    Abgesehen von der Kleidung, die er am Leib trug, besaß er nichts als einen Ersatztropenanzug, eine Ersatzkrawatte, einen Pullover, drei Hemden, Unterwäsche, Socken, Sandalen, einen Schirm und einen Waschbeutel. Alles paßte in einen Koffer, den er als Handgepäck mitnehmen konnte.
    »Ich halte nichts davon, auf Flughäfen Zeit zu vergeuden«, sagte er.
    Wann immer er nach London zurückkehrte, ging er in ein Geschäft für Tropenausrüstung in der Nähe von Piccadilly und stattete sich völlig neu aus: Koffer, Schirm, Kleidung und der Rest. Die alten Sachen gab er dem Firmenportier, der sich ein paar Pfund damit verdiente.
    »Nichts«, sagte er stolz, »wird an Alan Brady alt.«
    Er hatte weder englische Freunde noch eine Familie. Mr. Rasikhs Apartment war der einzige Ort in London, wo er sich wohlfühlte.
    Sein Vater war an der Somme einer Gasvergiftung erlegen, seine Mutter war in der Woche von Dünkirchen gestorben. Manchmal besuchte er im Sommer ihr Grab auf einem Dorffriedhof in der Nähe von Nottingham. Früher hatte er einmal eine Tante in Wigan gehabt, aber auch sie war inzwischen gestorben.
    Er hatte das Pensionsalter überschritten. Die Leute in der Firma murrten, es sei an der Zeit, daß er gehe: aber sein Auftragsbuch war immer voll, und die Direktion behielt ihn.
    »Haben Sie nicht irgendeinen festen Punkt?« fragte ich ihn. »Haben Sie nichts, was Sie ein ›Zuhause‹ nennen könnten?«
    Er errötete verlegen. »Doch«, stammelte er. »Es ist ziemlich intim.«
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Vergessen Sie es.«
    »Nicht, daß ich mich dessen schämen würde«, fuhr er fort. »Nur könnten es manche albern finden.«
    »Ich nicht«, sagte ich.
    Er sagte, daß er im Firmensafe einen alten schwarzen Blechkoffer aufbewahrte, von der Art, auf denen in weißen Buchstaben »Eigentum von Sir Soundso« geschrieben steht.
    Wenn er nach London kam, schloß er sich in dem Kabuff ein und breitete den Inhalt auf der Matratze aus.
    Am Boden des Koffers bewahrte er den aus einer früheren Existenz geretteten Krimskrams auf: das Hochzeitsfoto seiner Eltern, die Orden seines Vaters, den Brief vom König, einen Teddybär, einen Eisvogel aus Meißner Porzellan – das Lieblingsstück seiner Mutter –, ihre Granatbrosche, seine Schwimmtrophäe (1928 hatten die Anfälle von Bronchialasthma aufgehört), seinen silbernen Aschenbecher »für fünfundzwanzig Jahre treuer Dienste« für die Firma.
    Im oberen Teil des Koffers, durch eine Lage Seidenpapier vom übrigen getrennt, bewahrte er seine »afrikanischen« Sachen auf – wertlose Objekte, von denen jedes Zeugnis einer denkwürdigen Begegnung war: eine Zulu-Schnitzerei, die er einem traurigen alten Mann in den Drakensbergen abgekauft hatte, eine eiserne

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