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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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ein bißchen«, sagte Hanlon.
    »Nein, wir müssen wirklich gehen.«
    »Ich wünschte, ihr Jungs würdet noch ein bißchen bleiben. Wir könnten uns prima amüsieren.«
    »Wir kommen wieder«, sagte ich.
    »Wirklich?« Hanlon hielt den Atem an. »Wann?«
    »In ein paar Tagen«, sagte Arkady. »Bis dann sind wir fertig. Dann machen wir uns auf den Weg nach Cullen.«
    »Tut mir leid, daß ich auf Sie losgegangen bin«, sagte er zu mir. Seine Lippen bebten. »Ich geh’ immer auf Engländer los!«
    »Macht gar nichts«, sagte ich.
    Draußen war es heißer denn je, und der Wind legte sich. Auf der Koppel vor dem Haus hüpfte ein Adler mit einem Keilschwanz von einem Zaunpfahl zum anderen. Es war ein wunderschöner Vogel mit glänzenden bronzefarbenen Federn. Er flog davon, als er uns sah.
    Ich versuchte, Hanlons Hand zu schütteln. Er hatte sie auf seinen Unterleib gelegt. Wir stiegen in den Landcruiser.
    »Ihr hättet euch für die Steaks bedanken können«, rief er hinter uns her.
    Er bemühte sich, seinen rauhen Ton wiederzufinden, aber er sah verstört aus. Seine Wangen waren tränennaß. Er kehrte uns den Rücken zu. Er brachte es nicht über sich, uns wegfahren zu sehen.

17
    A m Tor zum Skull-Creek-Lager hing ein Schild, auf dem jedem, der Alkohol in eine Aborigine-Siedlung mitbrachte, eine Strafe von zweitausend Dollar angedroht wurde. Jemand hatte mit weißer Kreide darübergekritzelt: »Schwachsinn!« Wir waren gekommen, um einen Kaititj-Ältesten, der Timmy hieß, abzuholen. Er war ein Verwandter mütterlicherseits von Alan Nakamurra und kannte die Träume in der Gegend um die Middle-Bore-Ranch.
    Ich machte die Kette vom Tor los, und wir fuhren auf verstreut liegende Blechdächer zu, die durch das verblichene Gras hervorschimmerten. In einer Ecke der Siedlung hüpften ein paar Jungen auf einem Trampolin herum, und daneben erhob sich ein großer, brauner, fensterloser Metallkasten – die Klinik, wie Arkady sagte.
    »Irgendeiner hat sie früher die ›Todesmaschine‹ genannt«, sagte er. »Heute wagt sich niemand mehr in ihre Nähe.«
    Wir parkten unter zwei Geistereukalyptusbäumen an einem kleinen, weißgetünchten Haus. Singvögel zwitscherten in den Zweigen. Zwei vollbusige Frauen, eine in einem weiten grünen Kittel, lagen auf der Veranda und schliefen.
    »Mavis!« rief Arkady.
    Keines der beiden schnarchenden dicken Wesen regte sich.
    Hinter den Gummibäumen, kreisförmig um eine Fläche von rotem Sand angelegt, standen rund zwanzig Hütten: Halbzylinder aus Wellblech, an beiden Enden offen wie Schweineställe, wo Menschen im Schatten lagen oder hockten.
    Pappkartons und Fetzen von Plastiktüten flogen im Wind, und über der ganzen Siedlung lag ein gläsernes Glitzern. Glänzende schwarze Krähen hüpften herum, blinzelten mit ihren gelblichen Augen und pickten in alten Rindfleischdosen, bis die Hunde sie verscheuchten.
    Ein kleiner Junge, der Arkady erkannt hatte, rief: »Ark! Ark!«, und binnen Sekunden waren wir von einem Knäuel nackter Kinder umringt, die »Ark! Ark! Ark!« schrien. Ihr helles Haar sah aus wie Stoppeln auf einem Feld schwarzer Erde. Fliegen klebten in ihren Augenwinkeln.
    Arkady nahm zwei in seine Arme. Ein drittes ritt Huckepack, und die anderen grapschten nach seinen Beinen. Er strich ihnen über die Köpfe, drückte ihre ausgestreckten Hände; dann öffnete er die hintere Tür des Landcruisers und begann, Getränke und Lutscher zu verteilen.
    Die eine der dicken Frauen setzte sich auf, schob das wirre Haar aus dem Gesicht, gähnte, rieb sich die Augen und sagte: »Bist du’s, Ark?«
    »Hallo, Mavis!« sagte er. »Wie geht’s dir heute?«
    »Ganz gut.« Sie gähnte wieder und schüttelte sich.
    »Wo ist Timmy?«
    »Schläft.«
    »Ich will ihn in den Busch mitnehmen.«
    »Heute?«
    »Sofort, Mavis. Sofort!«
    Mavis hievte sich hoch und ging schwerfällig davon, um ihren Mann zu wecken. Sie hätte sich nicht zu bemühen brauchen. Timmy hatte das Getöse draußen gehört und stand im Eingang.
    Er war ein bleicher, magerer, verschmitzt aussehender alter Mann mit einem strähnigen Bart. Das eine Auge war getrübt von einem Trachom. Er trug einen braunen Filzhut schräg auf dem Kopf und hatte sich ein rotes Taschentuch um den Hals geknotet. Er war so mager, daß er seine Hose immer wieder hochziehen mußte. Er drohte Arkady mit dem Zeigefinger und kicherte.
    Arkady schüttelte die Kinder ab und holte aus dem Auto ein Fotoalbum mit Schnappschüssen von einer früheren Exkursion. Dann

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