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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Brutzyklus einer Buschfliege unter Kontrolle zu bekommen. Schwärme von Larven fielen über die Burt-Ebene her und fraßen sie vollkommen kahl – so, wie sie heute ist. Der Ahne trieb die Larven zusammen und stopfte sie wieder unter den Gebirgsausläufer, wo sie seither unter der Erde unauf hörlich brüten. Die alten Männer sagten, ein Einschnitt in den Berg würde zu einer riesigen Explosion führen. Eine Wolke von Fliegen würde herausplatzen und die ganze Welt einhüllen und alle Menschen und alle Tiere vergiften.
    »Die Bombe!« sagte ich zögernd.
    »Die Bombe«, sagte Arkady grimmig. »Einige meiner Freunde wußten eine Menge über die Bombe. Nachdem sie explodiert war.«
    Vor dem Wasserstoffbombenversuch der Briten in Maralinga hatte die Armee für die Aborigines Schilder in englischer Sprache mit der Aufschrift »Betreten verboten« aufgestellt. Nicht alle hatten sie gesehen, und nicht alle konnten Englisch lesen.
    »Sie sind durchgegangen«, sagte er.
    »Durch die Wolke?«
    »Durch die Wolke.«
    »Wie viele sind gestorben?«
    »Das weiß niemand«, sagte er. »Die ganze Angelegenheit wurde vertuscht. Versuchen Sie, Jim Hanlon zu fragen.«

16
    E twa eine Stunde später fuhren wir am Glen Armond Pub vorbei, bogen von der geteerten Straße nach links ab, holperten über eine Sandpiste und hielten bei einem verlassenen Viehstall an.
    In der Nähe, abgeschirmt von einer Tamariskengruppe, war ein alter Blechbungalow ohne Anstrich, dessen graue Farbe in Rost überging und in dessen Mitte ein Schornstein aus Ziegelsteinen emporragte. Es war Hanlons Haus.
    Auf dem Platz davor lagen ein Haufen leerer Ölkanister und ein weiterer Haufen ausgedienter Armeesachen. An der hinteren Seite stand unter einer quietschenden Windpumpe ein kaputter Chevrolet, aus dem Silbergras herauswuchs. Auf einem verblichenen Poster, das an der Haustür klebte, war zu lesen: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«
    Mit einem Knarren öffnete sich die Tür zehn Zentimeter weit. Dahinter stand Hanlon.
    »Was is’n los mit euch?« polterte er. »Noch nie ’n nackten Mann gesehen? Kommt rein, Jungs!«
    Für einen Mann von siebzig Jahren war Hanlon in guter Verfassung. Er war mager, hatte straffe Muskeln und einen kleinen flachen Kopf und hielt den Hals vorgereckt. Sein weißes Haar war kurz geschnitten, und er strich die Borsten mit der Hand flach. Seine Nase war gebrochen, er trug eine Brille mit Stahlrand und sprach mit einer lauten, nasalen Stimme.
    Wir saßen, und er stand. Er starrte versonnen auf seine Geschlechtsteile, kratzte sich zwischen den Beinen und prahlte damit, in Tennant Creek mit einer Apothekerin geschlafen zu haben.
    »Nicht schlecht für dreiundsiebzig!« Er sah an sich herunter. »Brauchbare Eier! Anständiges Gebiß! Was braucht ein alter Mann mehr?«
    »Nichts«, sagte Arkady.
    »Du hast recht«, sagte Hanlon grinsend.
    Er band sich ein Handtuch um den Bauch und holte drei Flaschen Bier. Mir fiel auf, daß seine rechte Hand schlaff herabhing.
    Im Haus war es drückend heiß. Die Hitze lastete schwer auf dem Dach, und unsere Hemden waren schweißnaß. Der Vorderraum war ein L-förmiger Korridor, an dessen einem Ende eine alte Emaillewanne stand. Dann kam eine Küche, dann eine Ecke mit Tisch und Stühlen.
    Er zeigte uns die Zeitungsausschnitte an der Wand: ein Streik in Kalgoorlie, Lenins Schädel, Onkel Joes Schnurrbart und einige Pin-ups aus dem Playboy . Er hatte sich hier vor dreißig Jahren mit einer Frau angesiedelt, die ihn verlassen hatte. Er hatte das Land verkauft und lebte jetzt von der Fürsorge.
    Auf dem Tisch war ein scharlachrotes Wachstuch. Eine getigerte Katze leckte einen Teller ab.
    »Verschwinde, du Bastard!« Er schwang die Faust, und die Katze sprang davon. »Und was habt ihr Jungs vor?«
    »Wir fahren rauf ins Kaititj-Land«, antwortete Arkady. »Mit Alan Nakamurras Sippe.«
    »Zur Vermessung, was?«
    »Ja.«
    »Heilige Stätten, was?«
    »Ja.«
    »Dieser verdammte heilige Unsinn! Was diese Jungs brauchen, ist Organisation!«
    Er entkorkte die Bierflaschen, dann schneuzte er sich die Nase in die Hand und schmierte den Rotz ordentlich unter seinen Stuhlsitz. Er ertappte mich dabei, wie ich ihm zusah. Er sah mich an.
    Er schwelgte in Erinnerungen an seine Zeit in Kalgoor lie, als vollwertiges Parteimitglied, vor dem Zweiten Weltkrieg.
    »Fragen Sie ihn!« Er zeigte auf Arkady. »Fragen Sie den Jungen nach meinem Lebenslauf!«
    Er schlenderte in den hinteren Raum, wo sein Bett stand, und

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