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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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setzte er sich mit Timmy auf die Stufen der Veranda, und Timmy wendete die Seiten mit der vehementen Konzentration eines Kindes, das in ein Märchenbuch vertieft ist.
    Ich saß hinter ihnen und schaute mit. Eine weiße Hündin mit Mastitis steckte ihre Schnauze immer wieder hartnäckig zwischen meine Schenkel.
    Arkady legte einen Arm um den alten Mann und sagte: »Du kommst heute also mit uns?«
    »Hast du das Futter?« fragte Timmy.
    »Ich habe das Futter.«
    »Gut.«
    Mavis saß zusammengesunken neben uns. Sie hatte ihr Haar wieder vors Gesicht gezogen, und alles, was man von ihr sah, war ihre rissige, aufgeworfene Unterlippe.
    Arkady beugte sich vor und sagte: »Kommst du mit, Mavis? Topsy und Gladys aus Curtis Spring sind auch dabei.«
    »Nä!« brummte sie bitter. »Ich geh’ nie mehr nirgendwohin. Sitz die ganze Zeit hier rum.«
    »Keine Ferien oder so?«
    Sie schniefte. »Manchmal gehen wir nach Tennant Creek. Ich hab’ dort Verwandte. Meine Mutter kommt aus der Gegend. Sie kommt aus dem großen Loch bei dem Bach. Kennst du die Stelle?«
    »Ich glaube, ja«, sagte Arkady unsicher.
    »Das Land von Billy Boys Sippe«, sagte Mavis und raffte sich mit erschöpfter Würde auf, als müßte sie ihre Existenzberechtigung nachweisen. »Ganz in der Nähe von der McCluhan-Ranch.«
    »Und willst du nicht mit uns nach Middle Bore kommen?«
    »Geht nicht«, schnaubte sie.
    »Was hält dich davon ab?«
    »Keine Sandalen.« Sie streckte ihren Fuß vor und forderte Arkady auf, sich ihre aufgerissene, schwielige Sohle anzusehen. »Kann nirgendwo hingehen ohne Sandalen. Muß mir ein paar Sandalen besorgen.«
    »Nehmen Sie meine«, bot ich an. »Ich habe noch ein zweites Paar.«
    Ich ging zum Wagen, öffnete meinen Rucksack und zog mein einziges Paar grüner Gummisandalen heraus. Mavis riß sie mir aus den Händen, als wäre ich es, der sie ihr gestohlen hätte. Sie zog sie an, warf den Kopf in den Nacken und schlurfte davon, um Timmys Teekessel und Decke zu holen. »Gutgemacht, Sir Walter!« sagte Arkady und grinste.
    Timmy sog in der Zwischenzeit an seiner Pappschachtel mit Apfelsaft. Er stellte sie ab, setzte seinen Hut wieder gerade auf den Kopf, sog ein weiteres Mal und sagte dann gedankenvoll: »Und was ist mit Big Tom?«
    »Ist er da?«
    »Klar ist er da.«
    »Kommt er mit?«
    »Klar kommt er mit.«
    Wir gingen zu einer Hütte mit einem Spaliervorbau, an dem sich Paddymelonen hochzogen und unter dem Big Tom schlief. Er trug kein Hemd. Sein Wanst, der sich hob und senkte, war mit Haarkringeln bedeckt. Sein Hund begann zu japsen, und er wachte auf.
    »Tom«, sagte Arkady. »Wir fahren nach Middle Bore. Kommst du mit?«
    »Klar komme ich mit«, sagte er lächelnd.
    Er kam hervorgekrochen, griff nach einem braunen Hemd und einem Hut und erklärte, er sei soweit. Seine Frau Ruby, eine spindeldürre Frau mit einem verwirrten Lächeln, kam unter ihrer Seite des Vorbaus hervorgekrochen, bedeckte ihren Kopf mit einem grüngetupften Tuch und sagte, auch sie sei soweit.
    Nie habe ich ein Ehepaar so schnell seine Sachen packen und aufbrechen sehen.
    Wir waren jetzt eine sechsköpfige Gruppe, und der Geruch im Landcruiser war kräftig und fremd.
    Beim Hinausfahren kamen wir an einem jungen Mann mit langen Armen und Beinen vorbei, der blonde Rattenschwänze und einen rötlichen Bart hatte. Er lag ausgestreckt mitten im Dreck. Er trug ein orangefarbenes T-Shirt, verwaschene Jeans und um seinen Hals einen Rajneesh-Rosenkranz. Vier oder fünf schwarze Frauen hockten um ihn herum. Sie schienen ihm die Beine zu massieren.
    Arkady drückte auf die Hupe und winkte. Der Mann brachte tatsächlich eine Art Nicken zustande.
    »Wer ist denn das?« fragte ich.
    »Das ist Craig«, sagte er. »Er ist mit einer der Frauen verheiratet.«

18
    V or dem Burnt-Flat-Hotel, wo wir anhielten, um zu tanken, nahm ein Streifenpolizist eidesstattliche Aussagen über einen Mann entgegen, der auf der Straße tot aufgefunden worden war.
    Das Opfer, erzählte er uns, sei ein Weißer Mitte Zwanzig gewesen, ein Landstreicher. Er war von Autofahrern in den vergangenen drei Tagen immer wieder an der Landstraße gesehen worden. »Und jetzt ist er in einem scheußlichen Zustand. Wir mußten ihn mit einer Schaufel vom Asphalt kratzen. Ein Lastwagenfahrer hat ihn für ein totes Känguruh gehalten.«
    Der »Unfall« hatte sich um fünf Uhr morgens ereignet, aber die Leiche – oder das, was der Lastzug von ihr übriggelassen hatte – war seit sechs Stunden kalt.
    »Sieht

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