Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
Vom Netzwerk:
setzte sich auf einen abgesägten Baumstumpf und entwirrte ihr verfilztes Haar. Dann verglichen sie und Arkady ihre Notizen. Die Frauen hatten ihr von einer Songline erzählt, die »Zwei tanzende Frauen« hieß, aber sie kam nie in Berührung mit der Eisenbahnstrecke.
    Wir blickten auf und sahen eine Schar von Frauen und Kindern, die vom Sammeln zurückkamen. Die Babys schwangen in den Falten der Kleider ihrer Mütter friedlich hin und her.
    »Man hört sie nie schreien«, sagte Marian, »solange die Mutter in Bewegung ist.«
    Sie hatte, ohne es zu wissen, eines meiner Lieblingsthemen angeschnitten. »Und wenn Babys es nicht ertragen, still zu liegen«, sagte ich, »wie sollen wir dann später seßhaft werden?«
    Sie sprang auf. »Was mich daran erinnert, daß ich gehen muß.«
    »Sofort?«
    »Sofort. Ich habe Gladys und Topsy versprochen, daß sie heute abend wieder zu Hause sind.«
    »Können sie nicht hierbleiben?« fragte ich. »Können wir nicht alle zusammen die Nacht hier verbringen?«
    »Ihr könnt«, sagte sie und streckte im Spaß die Zunge heraus. »Ich nicht.«
    Ich sah Arkady an, der die Achseln zuckte, als wollte er sagen: »Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann keine Macht der Welt sie davon abhalten.« Fünf Minuten später hatte sie die Frauen versammelt und war mit einem fröhlichen Winken verschwunden.
    »Diese Frau«, sagte ich, »ist der Rattenfänger in Person.«
    »Allerdings!« sagte Arkady.
    Er erinnerte mich an unser Versprechen, bei Frank Olson vorbeizuschauen.
    Im Farmhaus kam eine dicke Frau mit einem von der Hitze mitgenommenen Gesicht zur Eingangstür geschlurft, spähte durch das Fliegengitter und öffnete.
    »Frank ist nach Glen Armond gefahren«, sagte sie. »Ein dringender Fall! Jim Hanlon ist krank geworden!«
    »Wann war das?« fragte Arkady.
    »Gestern abend«, sagte die Frau. »Ist im Pub zusammengeklappt.«
    »Wir sollten die Kerle holen und fahren«, sagte er.
    »Ja«, stimmte ich zu. »Wir machen uns wohl besser auf den Weg.«

24
    D er Barmann von dem Motel in Glen Armond sagte, Hanlon sei am Abend zuvor gegen neun vorbeige kommen und habe damit geprahlt, daß er seinen Wohn wagen an einen »literarischen Gentleman« aus England vermieten werde. Im Vertrauen auf dieses Geschäft kippte er fünf doppelte Scotch, fiel hin und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Sie rechneten damit, daß er am Morgen wieder nüchtern sein würde, und trugen ihn in ein Hinterzimmer. Dort hörte ihn in den frühen Morgenstunden ein Lastwagenfahrer stöhnen, und sie fanden ihn, wieder am Boden liegend, die Hände auf den Unterleib gepreßt, das Hemd zerfetzt.
    Sie riefen seinen Freund Frank Olson, der ihn nach Alice fuhr. Um elf lag er auf dem Operationstisch.
    »Hab’ was von einer Darmlähmung gehört«, sagte der Barmann gewichtig. »Gewöhnlich bedeutet das nur eins.«
    An der Bar war ein Münztelefon. Arkady rief im Krankenhaus an. Die diensthabende Krankenschwester sagte, Hanlon gehe es gut und er schlafe.
    »Was ist mit ihm?« fragte ich.
    »Sie wollte es nicht sagen.«
    Die Bartheke war aus alten Eisenbahnschwellen zusammengebaut, und darüber hing ein Schild: ALLER ALKOHOL MUSS IM LOKAL GETRUNKEN WERDEN.
    Ich betrachtete ein Bild an der Wand. Es war das Aquarell eines Künstlers, das das geplante Dingo-Denkmal von Glen Armond darstellen sollte. Das Denkmal bezog sich auf den Dingo, der den Säugling Azaria Chamberlain gefressen oder auch nicht gefressen hatte. Die Pläne sahen einen zwanzig Meter hohen Dingo aus Fiberglas vor, mit einer Wendeltreppe in den Vorderbeinen und einem dunkelroten Restaurant im Innern des Bauches.
    »Unglaublich«, sagte ich.
    »Nein«, sagte Arkady. »Komisch.«
    Der Nachtbus nach Darwin fuhr draußen vor, und die Bar füllte sich mit Passagieren. Es waren Deutsche, Japaner, ein Engländer mit rosigen Knien und die übliche Schar von Territorianern. Sie aßen Pie und Eis, tranken, gingen zum Pinkeln nach draußen und kamen zum Trinken wieder herein. Der Aufenthalt dauerte fünfzehn Minuten. Dann rief der Fahrer zum Aufbruch, und alle strömten hinaus und überließen die Bar ihrem Kern von Stammkunden.
    Am hinteren Ende der Bar spielte ein dicker Libanese Billard mit einem hageren, hellhaarigen jungen Mann, der ein Glasauge hatte und stotternd zu erklären versuchte, daß die Verwandtschaftsbeziehungen der Aborigines »so … so … ver … ver … ver … dammt kom … kom … pliziert« seien. An der Theke spülte ein kräftiger Mann mit einem

Weitere Kostenlose Bücher