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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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mit den Ellbogen auf die Theke und hörte zu.
    »Heilige Stätten!« sagte der kräftige Mann mit einem gehässigen Seitenblick. »Wenn das alles heilige Stätten sind, wie die sagen, dann gäbe es dreihundert Milliarden verdammter heiliger Stätten in Australien.«
    »Gar nicht so daneben, Mann!« rief der dünne Aborigine.
    Rechts hinter mir hörte ich Arkady mit dem Polizisten sprechen. Sie hatten beide in Adelaide im Vorort St. Peters gelebt. Sie hatten dieselbe Schule besucht. Sie hatten denselben Mathematiklehrer gehabt, aber der Polizist war fünf Jahre älter.
    »Die Welt ist klein«, sagte er.
    »Das stimmt«, sagte Arkady.
    »Und warum geben Sie sich mit denen ab?« Der Polizist zeigte mit seinem Daumen auf die Aborigines.
    »Weil ich sie mag.«
    »Auch ich mag sie«, sagte er. »Ich mag sie! Ich möchte ihnen nichts Falsches nachsagen. Aber sie sind anders.«
    »Inwiefern anders?«
    Der Polizist befeuchtete wieder seine Lippen und sog die Luft zwischen den Zähnen hindurch ein.
    »Sie sind anders gebaut«, sagte er schließlich. »Sie haben andere Harnwege als die Weißen. Andere Wasserwerke! Deshalb können sie keinen Alkohol vertragen!«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Das ist bewiesen«, sagte der Polizist. »Wissenschaftlich.«
    »Von wem?«
    »Hab’ ich vergessen.«
    »Eigentlich«, fuhr er fort, »sollte es zwei verschiedene Gesetze fürs Trinken geben: eins für Weiße und eins für Schwarze.«
    »Finden Sie?« sagte Arkady.
    »Einen Mann dafür bestrafen, daß er bessere Wasserwerke hat?« sagte der Polizist, und seine Stimme schwoll vor Empörung an. »Das ist ungerecht. Das ist verfassungswidrig.«
    Der Schäferhund winselte, und er tätschelte ihm den Kopf.
    Es war nur ein kleiner Schritt von den »anderen Wasserwerken« zu den »anderen grauen Zellen«. Ein Aborigine-Gehirn, sagte er, sei anders als das von Weißen. Die Stirnlappen seien flacher.
    Arkadys Augen verengten sich zu einem Paar Tatarenschlitzen. Er war jetzt ziemlich gereizt.
    »Ich mag sie«, wiederholte der Polizist. »Ich habe nie gesagt, daß ich sie nicht mag. Aber sie sind wie Kinder. Sie haben die Mentalität von Kindern.«
    »Wie kommen Sie auf den Gedanken?«
    »Sie taugen nicht zum Fortschritt«, sagte er. »Und das ist der Grund, warum mit euch Landrechteleuten was nicht stimmt. Ihr steht dem Fortschritt im Weg. Ihr helft ihnen, das weiße Australien zu zerstören.«
    »Darf ich Sie zu einem Drink einladen?« unterbrach ich ihn.
    »Nein, danke«, fauchte der Polizist. Seine Gesichtsmuskeln zuckten grimmig. Mir fiel auf, daß seine Fingernägel bis aufs Fleisch abgebissen waren.
    Arkady wartete einen Augenblick, bis er seinen Ärger bezwungen hatte, und dann begann er langsam und verständlich zu erklären, daß man die Intelligenz eines Menschen am besten anhand seiner Fähigkeit, mit Sprache umzugehen, beurteilen könne.
    Viele Aborigines, sagte er, seien nach unseren Maßstäben Sprachgenies. Der Unterschied sei eine Sache der Anschauung. Die Weißen veränderten ständig die Welt, um sie ihrer zweifelhaften Zukunftsvision anzupassen. Die Aborigines verwendeten alle ihre geistigen Kräfte darauf, die Welt so zu erhalten, wie sie war. Inwiefern könne das minderwertig sein?
    Der Polizist verzog die Mundwinkel.
    »Sie sind kein Australier«, sagte er zu Arkady.
    »Ich bin verdammt noch mal Australier.«
    »Nein, sind Sie nicht. Ich sehe Ihnen an, daß Sie kein Australier sind.«
    »Ich bin in Australien geboren.«
    »Das macht aus Ihnen noch lange keinen Australier«, höhnte er. »Meine Familie lebt seit fünf Generationen in Australien. Und wo ist Ihr Vater geboren?«
    Arkady wartete, und dann antwortete er mit würdevoller Gelassenheit: »Mein Vater ist in Rußland geboren.«
    »Ha!« sagte der Polizist, zog die Oberlippe kraus und wandte sich dem kräftigen Mann zu. »Was habe ich dir gesagt, Bert? Ein Engländer und ein Roter!«

25
    W olken waren in der Nacht aufgezogen, und am Morgen war es bedeckt und schwül. Zum Frühstück bekamen wir Eier und Schinkenspeck in der Bar des Motels. Die Frau des Besitzers machte uns Sandwiches für ein Picknick und gab uns Eis für die »Eskis«. Arkady rief noch einmal im Krankenhaus an.
    »Sie wollen immer noch nicht sagen, was los ist«, sagte er, als er den Hörer auflegte. »Ich glaube, es sieht schlecht aus.«
    Wir überlegten, ob wir nach Alice zurückfahren sollten, aber da wir nichts tun konnten, beschlossen wir, unseren Weg nach Cullen fortzusetzen. Arkady breitete die

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