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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Karte auf dem Tisch aus. Die Fahrt würde nach seinen Berechnungen zwei Tage dauern. Wir würden quer über Land fahren und die Nacht in Popanji verbringen und dann nach Cullen weiterfahren.
    Die Frau, die am Nachbartisch Kaffee trank, hörte uns zu und fragte mit einem entschuldigenden Unterton in der Stimme, ob wir zufällig an den Lombardy Downs vorbeikommen würden.
    Arkady warf einen Blick auf die Karte.
    »Es liegt am Weg«, sagte er. »Können wir Sie mitnehmen?«
    »O nein!« Die Frau zuckte zusammen. »Nein, nein! Ich will nicht mitfahren. Ich habe nur überlegt, ob Sie vielleicht etwas für mich mitnehmen könnten. Einen Brief.«
    Sie war eine linkische, verbraucht aussehende junge Frau mit glanzlosem Haar und starren bernsteinfarbenen Augen. Sie betonte die Silben auf damenhafte Art und trug ein rehfarbenes Kleid mit langen Ärmeln.
    »Ich hab’ ihn schon geschrieben«, sagte sie. »Sie haben doch nichts dagegen, oder? Ich gehe und hole ihn, wenn Sie – «
    »Natürlich nehmen wir ihn mit«, sagte Arkady.
    Sie lief davon und kam atemlos mit dem Brief zurückgelaufen. Sie schob ihn ungestüm über den Tisch. Dann begann sie, mit einem kleinen goldenen Kreuz an ihrem Hals zu spielen.
    »Er ist für Bill Muldoon«, sagte sie und starrte mit leerem Blick auf den Namen auf dem Umschlag. »Er ist Farmmanager in Lombardy. Er ist mein Mann. Bitten Sie irgend jemand, ihn ihm zu geben. Aber falls Sie ihn sehen … falls er Sie fragt, ob Sie mich gesehen haben … sagen Sie ihm, daß es mir gutgeht.«
    Sie sah zerbrechlich und elend und krank aus.
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte ich. »Wir werden es tun.«
    »Danke«, sagte sie in gepreßtem Ton und setzte sich, um ihren Kaffee auszutrinken.
    Wir fuhren drei Stunden lang durch eine eintönige Ebene. Nach den nächtlichen Regenschauern hatte sich der Staub auf der Straße gesetzt. Wir sahen einige Emus in weiter Ferne. Wind kam auf. Wir sahen etwas von einem einsamen Baum herabhängen. Es war ein riesiger gestrickter Teddybär mit königsblauen Hosen und einer scharlachroten Mütze. Jemand hatte ihn am Hals aufgeschlitzt, und die Kapokfüllung war herausgequollen. Auf der Erde lag ein Kreuz aus Zweigen, das mit Ocker eingerieben war; die Arme waren mit einem Haarband zusammengebunden.
    Ich hob das Kreuz auf und hielt es Arkady hin.
    »Aborigine-Angelegenheiten«, sagte er. »Wenn ich Sie wäre, würde ich die Hände davon lassen.«
    Ich ließ es fallen und setzte mich wieder auf meinen Sitz. Vor uns begann der Himmel zu dunkeln.
    »Es kann sein«, sagte Arkady, »daß uns ein Sturm bevorsteht.«
    Wir bogen bei dem Schild ab, auf dem Lombardy Downs stand. Nach etwa einer Meile führte der Weg am Ende einer Rollbahn entlang. Ein orangefarbener Luftsack wehte horizontal in dem Wirbelwind, und in der Ferne stand ein kleines Flugzeug.
    Dem Mann, dem die Ranch gehörte, gehörte eine Fluggesellschaft.
    Das Farmgebäude war ein langgestrecktes weißes Haus, das in einiger Entfernung zwischen ein paar verkrüppelten Bäumen stand, aber näher an der Rollbahn befand sich ein kleineres Backsteinhaus neben einem offenen Hangar. In dem Hangar war die Flugzeug- und Autoveteranensammlung des Besitzers untergebracht. Neben einer Tiger Moth parkten ein Ford-T-Modell und ein Rolls-Royce-Farmwagen mit braungestrichenen hölzernen Seitenwänden, die schwarze Ränder hatten.
    Ich erzählte Arkady die Geschichte meines Vaters von dem Rolls-Royce und dem Schafmillionär.
    »Letzten Endes gar nicht so aus der Luft gegriffen«, sagte ich.
    Eine schlampig wirkende Frau in einem grüngepunkteten Hauskittel kam an die Tür. Ihr blondes Haar war auf Lockenwickler gedreht.
    »Sucht ihr Jungs jemand?« rief sie.
    »Bill Muldoon«, rief ich gegen den Wind zurück. »Wir haben einen Brief für ihn.«
    »Muldoon ist nicht zu Hause«, sagte sie. »Kommt rein, ich mache euch Kaffee.«
    Wir betraten eine unordentliche Küche. Arkady legte den Brief auf den Tisch, auf das rotkarierte Wachstuch neben ein paar Frauenzeitschriften. Wir setzten uns. Ein Ölbild von Ayer’s Rock hing schief an der Wand. Die Frau warf einen Blick auf die Handschrift auf dem Umschlag und zuckte die Achseln. Sie war die andere Frau.
    Während das Wasser im Kessel heiß wurde, wickelte sie einen zur Hälfte gegessenen Schokoladenriegel aus, nagte etwa einen Zentimeter ab, wickelte ihn wieder ein und leckte sich die Schokolade von den Lippen.
    »Gott, wie ich mich langweile!« sagte sie.
    Der Besitzer der Farm,

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