Traumpfade
violetten Muttermal im Nacken systematisch einen Scotch nach dem anderen zwischen seinen verfaulten Zähnen hinunter und sprach mit dem Polizisten, dem wir am Vortag in Burnt Flat begegnet waren.
Er hatte sich umgezogen und trug jetzt Jeans, eine goldene Halskette und ein sauberes weißes Unterhemd. Ohne seine Uniform sah er aus, als wäre er geschrumpft. Von dem Rand an, bis zu dem sonst die Manschetten reichten, waren seine Arme dünn und weiß. Sein deutscher Schäferhund lag reglos da, an einen Barhocker gebunden, und faßte mit gespitzten Ohren und lechzender Zunge ein paar Aborigines scharf ins Auge.
Der Polizist wandte sich mir zu: »Und was soll’s sein?«
Ich zögerte.
»Was trinken Sie?«
»Scotch mit Soda«, sagte ich. »Vielen Dank.«
»Eis?«
»Eis.«
»Sie sind also Schriftsteller?«
»Hat sich schnell rumgesprochen.«
»Was schreiben Sie denn?«
»Bücher«, sagte ich.
»Veröffentlicht?«
»Ja.«
»Science-fiction?«
»NEIN!«
»Je einen Bestseller geschrieben?«
»Nie.«
»Ich habe vor, selber einen Bestseller zu schreiben.«
»Viel Glück.«
»Sie würden nicht glauben, was für Geschichten mir zu Ohren kommen.«
»Würde ich bestimmt.«
»Unglaubliche Geschichten«, sagte er mit seiner dünnen, verdrießlichen Stimme. »Es ist alles hier.«
»Wo?«
»In meinem Kopf.«
»Das Problem ist, es zu Papier zu bringen.«
»Ich habe einen tollen Titel.«
»Gut.«
»Soll ich ihn Ihnen verraten?«
»Wenn Sie mögen.«
Sein Kinn fiel herab, und er glotzte mich an: »Das soll wohl ein Scherz sein, Kumpel! Sie glauben, ich würde meinen Titel preisgeben? Sie könnten ihn benutzen! Der Titel ist Gold wert.«
»Dann sollten Sie daran festhalten.«
»Ein Titel«, sagte er emphatisch, »kann einem Buch zum Erfolg verhelfen oder es vernichten.«
Man denke nur an Ed McBain! Lohn der Killer ! Man denke nur an Haifisch-City ! Oder an Eden brennt ! Man denke an Hundetag ! Tolle Titel. Er schätze den Geldwert seines Titels auf 50.000 US-Dollar. Mit so einem Titel könnte man einen tollen Film drehen. Auch ohne das Buch!
»Auch ohne die Geschichte?« schlug ich vor.
»Schon möglich«, nickte er.
In den Vereinigten Staaten wechselten Titel für Millionen den Besitzer. Nicht, daß er seinen Titel an eine Filmgesellschaft verkaufen würde. Der Titel und die Geschichte gehörten zusammen.
»Nein«, sagte er und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich würde sie nicht trennen wollen.«
»Das sollten Sie auch nicht.«
»Vielleicht sollten wir zusammenarbeiten?« sagte er.
Er stellte sich eine künstlerische und ökonomische Partnerschaft vor. Er würde den Titel und die Story liefern. Ich würde das Buch schreiben, weil er als Polizist nicht die Muße zum Schreiben hätte.
»Schreiben kostet viel Zeit«, pflichtete ich ihm bei.
»Wären Sie interessiert?«
»Nein.«
Er machte ein enttäuschtes Gesicht. Er war noch nicht soweit, mir den Titel zu verraten, aber um meine Neugier anzustacheln, schlug er vor, mich in die Handlung einzuweihen. Die Handlung dieser unglaublichen Geschichte begann damit, daß ein Aborigine von einem Lastzug plattgefahren wurde.
»Und?«
»Ich sage es Ihnen lieber«, sagte er. Er befeuchtete seine Lippen. Er hatte eine schwere Entscheidung getroffen.
» Leichenhülle «, sagte er.
» Leichenhülle? «
Er schloß die Augen und lächelte.
»Das habe ich noch nie jemand erzählt«, sagte er.
»Wieso Leichenhülle? «
»Die Hülle, in die man die Leiche legt. Ich habe Ihnen doch gesagt, daß die Geschichte mit einem toten Nigger auf der Landstraße beginnt.«
»Stimmt.«
»Gefällt er Ihnen?« fragte er besorgt.
»Nein.«
»Ich meine den Titel.«
»Ich weiß, daß Sie den Titel meinen.«
Ich wandte mich dem Mann mit dem violetten Muttermal zu, der links von mir saß. Er war während des Krieges in England stationiert gewesen, in der Nähe von Leicester. Er hatte in Frankreich gekämpft und dann ein Mädchen aus Leicester geheiratet. Die Ehefrau war mit nach Australien gekommen, aber dann ging sie mit ihrer beider Kind wieder nach Leicester.
Er hatte gehört, daß wir die heiligen Stätten kartographisch verzeichneten.
»Wissen Sie, was man am besten mit den heiligen Stätten macht?« fragte er mit schleppender Stimme.
»Was?«
»In die Luft sprengen!«
Er grinste und hob sein Glas den Aborigines entgegen. Das Muttermal vibrierte, als er trank.
Einer der Aborigines, ein sehr dünner Hillbilly-Typ mit einem Wust zerzauster Haare, stützte sich
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