Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
Vom Netzwerk:
Honigameisen bemalt. Aus seinem Innern drang Country- und Westernmusik nach draußen. Eine Gebetsstunde war im Gang. Ich setzte David ab und steckte den Kopf durch die Tür.
    Auf dem Podium stand ein hellhäutiger Aborigine-Mischling in engen, ausgestellten Hosen und einem schimmernden scharlachroten Hemd. Seine behaarte Brust war mit Goldketten geschmückt. Sein Schmerbauch sah aus, als wäre er nachträglich aufgesetzt worden. Er wirbelte auf seinen hohen Absätzen herum und gab sein Bestes, um eine eher mißmutige Gemeinde in Schwung zu bringen.
    »Okay«, sang er mit schmachtender Stimme. »Nun macht schon. Erhebt eure Stimme. Erhebt eure Stimme zu Je-e-e-sus!«
    Die Verse, auf Dias projiziert, erschienen nacheinander auf einer Leinwand.
     
    Jesus, süßester Name, den ich kenne
Süß wie sein Name ist auch Er
Darum liebe ich Ihn so sehr …
     
    »Da können Sie sehen«, sagte Arkady, »womit sich einige von uns herumschlagen müssen.«
    »Rührend«, sagte ich.
    Lydia und die Jungen lebten in einem schäbigen Dreizimmer-Fertighaus, das im Schatten eines Eisenbaums aufgestellt worden war. Sie warf ihre Aktentasche auf einen Sessel.
    »Und jetzt«, sagte sie, »muß ich das Geschirr in Angriff nehmen.«
    » Wir nehmen es in Angriff«, sagte Arkady. » Du legst die Beine hoch.«
    Er entfernte allerlei Spielzeug vom Sofa und führte Lydia entschlossen darauf zu. In der Küche stand schmutziges Geschirr von drei Tagen, und überall waren Ameisen. Wir kratzten das Fett aus Aluminiumtöpfen und stellten einen Kessel mit Wasser auf. Ich schnitt etwas Fleisch und Zwiebeln für einen Eintopf. Bei der zweiten Tasse Tee begann Lydia sich zu entspannen und ganz vernünftig von Graham zu erzählen.
    Graham war von einem Lehrercollege in Canberra direkt nach Popanji gekommen. Er war zweiundzwanzig. Er war unschuldig und intolerant und hatte ein unwiderstehliches Lächeln. Er konnte ziemlich böse werden, wenn jemand ihn »Engel« nannte.
    Er lebte für die Musik – und Pintupi-Jungen sind geborene Musiker. Eine seiner ersten Handlungen nach seiner Ankunft war die Gründung der Popanji-Band. Die Tonanlage schnorrte er von einem moribunden Rundfunksender in Alice. Sie übten im ehemaligen ärztlichen Behandlungszimmer, in dem die elektrischen Leitungen noch intakt waren.
    Graham übernahm das Schlagzeug. Es gab zwei Gitarristen, Söhne von Albert Tjakamarra. Der Keyboard-Spieler war ein dicker Junge, der sich den Namen »Danny Roo« zugelegt hatte. Der Sänger und Star war ein zaundürrer Sechzehnjähriger, Mick »Langfinger«.
    Mick hatte Rastazöpfchen und war ein faszinierender Imitator. Wenn er sich fünf Minuten lang ein Video angesehen hatte, konnte er Bob Marley, Hendrix oder Zappa nachmachen. Aber seine beste Nummer war, wenn er seine schmachtenden Augen verdrehte und seinen riesigen Schmollmund zu einem Grinsen verzog – und zu seinem Namensvetter, Jagger persönlich, »wurde«.
    Die Band reiste und schlief in Grahams altem Volkswagenbus und besuchte auf ihren Tourneen die Siedlungen von Yuendumu bis Ernabella, und sie kam sogar bis ins entlegene Balgo.
    Sie sangen ein Trauerlied, in dem es um ein Massaker ging, das die Polizei angerichtet hatte: »Die Ballade von Barrow Creek«. Sie hatten einen Aufheizer mit dem Titel »Abo Rasta« und einen anderen, moralisch erhebenderen Song, gegen Benzinschnüffeln. Sie machten eine Bandaufnahme und dann eine 45er-Schallplatte, und dann landeten sie einen Hit.
    »Grandfather’s Country« wurde der Song der Out-Station-Bewegung. Er hatte das ewige Thema: »Geh nach Westen, Junge! Geh nach Westen!« Fort von Städten und Regierungslagern. Fort von Alkohol, Klebstoff, Haschisch, Heroin und Knast. Raus! Zurück in die Wüste, aus der Großvater verjagt worden war. Der Refrain: »Sippen des Volkes … Sippen des Volkes …« hatte leicht liturgische Anklänge, wie »Brot des Himmels … Brot des Himmels …« – und versetzte die Zuhörer in Ekstase. Beim Rockfestival in Alice, wo sie das Lied spielten, sah man uralte Aborigine-Graubärte zusammen mit jungen Leuten hüpfen und hopsen.
    Ein Agent aus Sydney nahm Graham beiseite und verdrehte ihm den Kopf mit Geschwätz vom Showbusineß.
    Graham kehrte zu seiner Arbeit nach Popanji zurück, aber in Gedanken war er woanders. Er stellte sich vor, wie seine Musik über Australien und die übrige Welt hinwegbrauste. Er malte sich aus, daß er in einem road movie spielen würde. Bald hielt er Lydia Vorträge über Agentenhonorare,

Weitere Kostenlose Bücher