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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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und die Gewichte selbst waren so stahlblau wie Reds Trikot. Wir beobachteten, wie er hineinging. Er legte sich auf die Bank und griff nach der Stange. Ein kleiner Junge pfiff seine Freunde herbei, die ihren Fußball fallen ließen und nackt, wie sie waren, zum Fenster rannten, schrien und Grimassen zogen und ihre Nasen an die Scheibe drückten.
    »Eine der Sehenswürdigkeiten des Territoriums«, sagte Arkady.
    »Das kann man wohl sagen«, sagte ich.
    »Kein schlechter Kerl, dieser Red«, sagte er. »Ein bißchen zu sehr in Disziplin vernarrt. Spricht Aranda und Pintupi wie ein Eingeborener. Allerdings ist bei ihm ’ne kleine Schraube locker. Was glauben Sie, was sein Lieblingsbuch ist? Einmal dürfen Sie raten.«
    »Das möchte ich lieber gar nicht wissen.«
    »Raten Sie!«
    »Fäuste aus Stahl« , sagte ich.
    »Weit gefehlt.«
    »Sagen Sie’s mir.«
    »Die Ethik von Spinoza.«

27
    W ir fanden Lydia im Schulzimmer, wo sie versuchte, einen Anschein von Ordnung in Papiere, Farbdosen, Plastikbuchstaben und Bilderbücher zu bringen, die auf den Tischen verstreut oder von schlammigen Füßen zertrampelt am Boden lagen. Sie kam an die Tür.
    »O Gott!« rief sie. »Was soll ich bloß machen?«
    Sie war eine kompetente, intelligente Frau Anfang Vierzig: geschieden, mit zwei kleinen Söhnen. Ihr Haar war grau und zu einem Pony geschnitten, über einem Paar ruhiger brauner Augen. Sie war so kompetent und augenscheinlich so sehr daran gewöhnt, jede Krise zu meistern, daß sie sich weigerte, sich selbst oder anderen einzugestehen, daß ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren.
    Im Laufe des Morgens hatte sie eine Funkmeldung von ihrer Mutter erhalten, die in Melbourne erkrankt war. Als sie zurückkam, hatten die Kinder ihre Hände in eine Dose mit grüner Farbe getaucht und alle Wände damit beschmiert.
    »Na ja, wenigstens haben sie nicht auf die Tische geschissen«, sagte sie. »Dieses Mal!«
    Ihre Söhne, Nicky und David, spielten mit ihren schwarzen Freunden in Unterhosen auf dem Schulhof, von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt, und schaukelten wie Affen an den Luftwurzeln eines Feigenbaums. Nicky, völlig überdreht, rief seiner Mutter Obszönitäten zu und streckte ihr die Zunge heraus.
    »Ich werde dich ertränken «, rief sie zurück.
    Sie hielt die Arme vor die Tür, als wollte sie uns am Eintreten hindern, doch dann sagte sie: »Kommt rein. Kommt ruhig rein. Ich bin einfach nur albern.«
    Sie stand mitten im Zimmer, gelähmt von dem Chaos.
    »Machen wir ein Feuer«, sagte sie. »Es bleibt nichts anderes übrig, als im Garten ein Feuer zu machen und alles zu verbrennen. Zu verbrennen und wieder von vorn anzufangen.«
    Arkady tröstete sie mit der volltönenden russischen Stimme, die er gewöhnlich Frauen vorbehielt, die er beruhigen wollte. Lydia führte uns dann zu einer Holzfaserplatte, an der die Arbeiten aus dem Kunstunterricht befestigt waren.
    »Die Jungen malen Pferde und Hubschrauber«, sagte sie. »Aber kann ich sie dazu bringen, ein Haus zu malen? Nie im Leben! Nur Mädchen malen Häuser … und Blumen.«
    »Interessant«, sagte Arkady.
    »Seht euch die hier an«, sagte sie lächelnd. »Die sind lustig.«
    Es waren zwei Bleistiftzeichnungen, eine von einem Emu-Ungeheuer mit abscheulichen Klauen und einem gräßlichen Schnabel. Die andere stellte einen behaarten »Affenmenschen« dar, mit einem Maul voller Reißzähne und gelben Augen, die wie Scheinwerfer blitzten.
    »Wo ist Graham?« fragte Arkady plötzlich.
    Graham war Lydias Assistent. Er war der Junge, den ich in Alice gesehen hatte, als ich das Motel verließ.
    »Kommt mir bloß nicht mit Graham«, sagte sie schaudernd. »Ich will von Graham nichts hören. Wenn jemand noch einmal das Wort ›Graham‹ ausspricht, werde ich womöglich gewalttätig.«
    Sie machte einen weiteren halbherzigen Versuch, einen der Tische aufzuräumen, hielt jedoch inne und holte tief Luft.
    »Nein«, sagte sie. »Es hat keinen Sinn. Ich werde es lieber morgen früh in Angriff nehmen.«
    Sie schloß ab, rief ihre beiden Buben und überredete sie, ihre Space-Invader-T-Shirts anzuziehen. Sie waren barfuß. Sie folgten uns widerwillig über das Grundstück, aber da so viele Dornen und Glasscherben herumlagen, beschlossen wir, sie huckepack zu nehmen.
    Wir kamen an der Lutherischen Kapelle vorbei, die seit nunmehr drei Jahren mit Brettern vernagelt war. Dann kamen wir am Gemeinde-Zentrum vorbei: ein Schuppen aus bläulichem Metall, mit einer Karikatur von einer Prozession von

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