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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Aufnahmerechte und Filmrechte. Sie schwieg und ließ ihn ausreden, mit schlimmen Ahnungen.
    Sie war eifersüchtig – und zu ehrlich, um es nicht zuzugeben. Sie hatte Graham bemuttert, bekocht, ihm Flicken auf die Jeans genäht, seine Wohnung aufgeräumt und sich seine idealistischen, flammenden Reden angehört.
    Was sie am meisten an ihm mochte, war seine Ernst haftigkeit. Er war ein Macher: das Gegenteil von ihrem früheren Ehemann, dessen Idee es gewesen war, »für die Aborigines zu arbeiten«, und der sich dann nach Bondai abgesetzt hatte. Was sie vor allem fürchtete, war, daß Graham weggehen könnte.
    Allein zu sein, ohne Heim und ohne Geld, mit zwei Söhnen, die sie aufziehen mußte, und der quälenden Sorge, daß die Regierung die Gelder kürzen könnte und sie überflüssig werden würde: all das spielte keine Rolle, solange Graham in der Nähe war.
    Sie hatte auch Angst um Graham. Er und seine schwarzen Freunde verschwanden tagelang im Busch. Nie fragte sie ihn nach Einzelheiten, doch sie hatte den Verdacht – genauso wie sie ihren Mann in dem Verdacht gehabt hatte, Heroin einzunehmen –, daß Graham in Aborigine-Angelegenheiten verwickelt war.
    Schließlich konnte er der Versuchung nicht widerstehen, ihr alles zu erzählen. Er beschrieb das Tanzen und Singen, das Aderlassen und die heiligen Darstellungen; und er erzählte ihr, daß er am ganzen Körper mit weißen und ockerfarbenen Streifen bemalt worden war.
    Sie warnte ihn, daß die Freundschaft von Aborigines nie »unschuldig« sei. Sie betrachteten die Weißen immer als eine »Hilfsquelle«. Wäre er erst »einer von ihnen«, würde er alles mit ihnen teilen müssen.
    »Sie werden dir den Volkswagen wegnehmen«, sagte sie.
    Er sah sie mit einem amüsiert-verächtlichen Lächeln an und sagte: »Glaubst du vielleicht, daß mir das was ausmachen würde?«
    Ihre zweite Sorte von Ängsten behielt sie für sich. Sie fürchtete, daß man, war man einmal dabei, auch dabei blieb: ob es eine Geheimgesellschaft war oder ein Spionagering, das Leben war von dem Moment an gezeichnet. An ihrem früheren Arbeitsplatz in Groote Eylandt war ein junger Anthropologe in rituelle Geheimnisse eingeweiht worden, aber als er sie in seiner Doktorarbeit veröffentlichte, bekam er Migräne und Depressionen – und konnte jetzt nur noch außerhalb Australiens leben.
    Lydia zwang sich, den Geschichten von »Knochenzeigen« und vom Zauberern, die Menschen ins Verderben »singen« konnten, keinen Glauben zu schenken. Und doch konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, daß die Aborigines mit ihrer erschreckenden Unbeweglichkeit Australien irgendwie an der Gurgel gepackt hielten. Es lag eine furchteinflößende Macht in diesen scheinbar passiven Menschen, die dasaßen, beobachteten und abwarteten und die Schuld des weißen Mannes manipulierten.
    Eines Tages, nachdem Graham eine Woche verschwunden gewesen war, fragte sie ihn geradeheraus: »Willst du unterrichten oder nicht?«
    Er verschränkte die Arme. »Ich will unterrichten, ja«, antwortete er mit unvorstellbarer Frechheit. »Aber nicht in einer Schule, die von Rassisten geleitet wird.«
    Sie rang nach Luft, wollte sich die Ohren verstopfen, aber er sprach unbarmherzig weiter. Das Erziehungsprogramm, sagte er, versuche systematisch, die Kultur der Aborigines zu zerstören und sie in das kapitalistische System einzubinden. Aborigines brauchten Land, Land und noch mal Land – auf das kein nicht eigens dazu befugter Europäer je seinen Fuß setzen würde.
    Er tobte weiter. Sie fühlte, wie ihre Antwort in ihrer Kehle aufstieg. Sie wußte, daß sie die Worte nicht aussprechen sollte, aber die Worte brachen aus ihr hervor: »In Südafrika haben sie einen Namen dafür! Apartheid!«
    Graham verließ das Haus. Von da an war der Bruch total. Abends erschien ihr das Bam-Bam-Bam der Band als etwas Böses und Bedrohliches.
    Sie hätte der Schulbehörde einen Bericht über ihn erstatten können. Sie hätte ihn rausschmeißen lassen können. Statt dessen übernahm sie seine ganze Arbeit und unterrichtete beide Klassen selbst. Manchmal war, wenn sie das Schulzimmer betrat, »Lydia liebt Graham« an die Tafel gekritzelt.
    Eines frühen Morgens beobachtete sie, wie sich das Sonnenlicht auf dem Bettlaken ausbreitete, als sie Grahams Stimme im vorderen Zimmer hörte. Er lachte mit Nicky und David. Sie schloß die Augen, lächelte und schlief wieder ein.
    Später hörte sie ihn in der Küche hantieren. Er kam mit einer Tasse Tee in ihr

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