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Traumreisende

Traumreisende

Titel: Traumreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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bleiben.
    »Warum Mapiyal?« fragte jemand. »Sag uns, was in deinem Herzen ist.«
    »Ich denke oft an die beiden Welten, an die der >Veränderten< und an unsere. Das Schnabeltier geht zwischen Wasser und Land hin und her. Im Wasser ist es am meisten zu Hause und verbringt sein Leben in ruhigen, stillen Teichen, aber es kann nicht unter Wasser bleiben. Es muss das Land besuchen, es muss die Sicherheit verlassen, um Luft zu atmen. Ich habe viel darüber nachgedacht, und es ist richtig, dass ich jetzt Mapiyal werde. Danke, Schwester der Ameise, für das Lied und die Verkündung.«
    Viele Jahre vergingen. Das Leben in der Natur war friedlich und erfüllend. Es gab neue Dinge zu sehen und zu entdecken und neue Arten, sich auszudrücken, während sie mit alten Freunden über vertrautes Gelände gingen und alte Traditionen fortsetzten.
    Als Wurtawurta 102 Jahre alt war, verkündete sie bei der jahreszeitlichen Versammlung aller Stammesmitglieder, sie habe die Göttliche Einheit gefragt, ob es zu ihrem Besten sei, in die Ewigkeit zurückzukehren. Sie hätte ein Ja als Antwort erhalten. Es war das erste Mal, dass Mapiyal und einige andere miterleben würden, wie ein menschlicher Körper willentlich den Geist entließ.
    Die Mitglieder der Gruppe, die so stark an die Ewigkeit glaubten und wussten, dass das Bewusstsein von Leben nicht mit der Empfängnis beginnt, waren auch Fürsprecher eines Todes, der nicht schmerzhaft sein und unbestimmte Zeit dauern musste.
    Jeder hatte schon viele von den Schritten gelernt, die notwendig sind, um den letzten Akt zu vollziehen. Sie hatten gelernt, wie man innere mentale Bilder benutzt, um seinen Körper in kalten Nächten zu wärmen oder auch zu kühlen, wenn es nach Sonnenuntergang drückend heiß blieb. Man hatte sie auch über die Kraftzentren belehrt, die in einer geraden Linie durch den Körper aufsteigen, vom Schoß bis zum Oberkopf. Sie wussten, wie man mit offenen Augen schläft und seine Körperfunktionen auf jene im Zustand tiefen, entspannenden Schlafs reduziert. Jeder von ihnen hatte die Fähigkeit gemeistert, seinen Körper zu verlassen und sein Bewusstsein an einen anderen Ort zu projizieren.
    Sie verbrachten mehrere Tage mit der Vorbereitung für Wurtawurtas Übergang. Als an diesem besonderen Tag der Morgen dämmerte, fragte sich Mapiyal, ob vielleicht heute ihre lange unbeantwortete Frage eine Antwort finden werde, nämlich, ob die Menschen, wenn sie am Morgen ihres letzten Tages erwachen, irgendeine Vorahnung hätten. Vielleicht hatte die Frage sie so tief berührt und verwirrt, weil die ihrem Wesen innewohnenden Energien sagten: »Du stirbst nicht, du ehrst nur eine Überzeugung in deinem Herzen und kehrst zu unserer Quelle zurück. Du triffst die Entscheidung, zu kommen; du hast das Recht, dich zum Fortgehen zu entscheiden. Es gibt keine Zufälle, nur spirituelle Verbindungen, von denen wir uns nicht weit genug entfernt haben, um sie zu sehen.« Die Feier zu Ehren Wurtawurtas dauerte den ganzen Tag über.
    Man braute einen speziellen Kräutertrunk und sammelte und bereitete die Nahrung mit besonderer Sorgfalt zu. Jedes Stammesmitglied erhielt Gelegenheit, sich zu äußern und von Wurtawurtas Leben und seinen gemeinsam mit ihr verbrachten Zeiten zu sprechen. Die Geehrte sprach ebenfalls und sagte alles, von dem sie meinte, es wäre für die anderen bedeutsam. Mapiyal gegenüber äußerte sie, sie sei dankbar, dass diese ihr vor vielen Jahren davon erzählt hätte, wie sich Seide anfühlt. Sie hätte das bei ihren Visionen benutzt und würde es auch heute verwenden, wenn sie in das Ewige zurückkehrte. Die Gruppe rief die Geister der Pflanzen-und Tierwelt auf, an dem Tag teilzunehmen. Als die Sonne unterging, wurde Wurtawurta von einem nach dem anderen umarmt, und jeder wiederholte den gleichen Satz:
    »Wir lieben dich und unterstützen dich auf deiner Reise.«
    Dann entfernten sie sich, und die alte gebeugte Frau setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden. Innerlich verschloss sie alle Kraftpunkte, kühlte ihren Körper ab, verlangsamte ihren Blutkreislauf und den Herzschlag und benutzte schließlich eine traditionelle Technik, um ihren letzten Atemzug zu tun. Als das Herz stehen blieb, fiel ihr Kopf nach vorn, und ihr Körper kippte zur Seite. Sie hatte ihn verlassen, sich selbst an einen anderen Ort projiziert, wie sie es viele Male zuvor getan und auch anderen beigebracht hatte; nur würde sie diesmal nicht zurückkehren. Ihr Körper würde von allen Geschöpfen

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