Traumreisende
verzehrt werden, die ihn als lebenserhaltend betrachteten. Ein Begräbnis gab es nicht.
Einen Monat später stieß die fünfköpfige Gruppe, der Mapiyal angehörte, auf die Überreste eines kleinen Flugzeugs. Diese lagen gut verborgen zwischen riesigen Felsblöcken, von denen es in der offenen Weite viele gab. Das Flugzeug musste gegen einen davon geprallt sein, denn die Wrackteile steckten zwischen den Steinen und waren so aus der Luft schwer zu entdecken. Sie fanden die Überreste von zwei Männern. Die Gruppe begrub die Leichen und markierte die Stelle für den Fall, dass eines Tages jemand das Wrack fände. Mapiyal schlug vor, aus zwei Stöcken ein Kreuz zu bilden, denn das schien für die >Veränderten< ein Grab zu symbolisieren. Die Gruppe nahm den zerrissenen Stoff von etwas, das wohl die Jacke des einen Mannes und das Hemd des anderen gewesen war, und ein Stück Stoff von einem Sitz. Diese Teile wurden zeremoniell verbrannt. Jeder sandte über einen mentalen Regenbogen Rauchenergie zu den Verstorbenen und zu den bekümmerten Familienangehörigen an einem unbekannten Ort.
Vermutlich haben diese Männer das Gebiet überflogen, um zu sehen, ob noch irgendwe lche anderen Aborigines im Outback geblieben waren und vor sich selbst gerettet werden mussten, dachte Mapiyal. Aber sie haben nur getan, was sie für richtig hielten. Mit jedem Jahr, das verging, ruhte Mapiyal mehr in sich, wurde friedvoller und würdiger. Sie wechselte die Beschäftigungen und trug auf den verschiedensten Gebieten zum Leben der Gemeinschaft bei, aber sie verspürte nicht den Wunsch, ihren Namen wieder zu ändern. Alle paar Jahre pflegte Benala den Stamm zu verlassen und für ein paar Tage in den nächstgelegenen Ort zu gehen. Bei ihrer Rückkehr berichtete sie dann, in welchem Zustand sie die Welt jenseits der >Wahren Menschen< vorgefunden hätte. Jedes mal wenn Benala ging, fragte sie Mapiyal, ob diese sie begleiten wolle. Mapiyal war neugierig und versucht, mitzugehen. Aber dann hatte sie jedes mal das Gefühl, es sei nicht richtig, und sie lehnte ab.
Auch der Häftling Nummer 804781, als Jeff Marsh bekannt, wurde in späteren Jahren zu einem würdevollen, friedliebenden Menschen. Im Alter von vierzig Jahren bekam er allmählich graues Haar. Er hatte Zugang zu allen Bibliotheksbüchern, die er haben wollte, so dass er verschiedene Kunstformen und das Leben vieler Künstler studieren konnte. Er erteilte einem anderen Häftling Unterricht, und im Laufe der Jahre weitete sich das zu einem Programm aus, dessen Leitung er übernahm. Schließlich gab er auch Unterricht in verschiedenen Kunsthandwerken und erwarb sich ein so großes Ansehen dabei, dass das Gefängnis einmal im Jahr die von den Gefangenen angefertigten Gegenstände zum Verkauf anbot. Die Anerkennung seiner Existenz und seiner Kreativität bei diesen jährlichen Verkäufen wurden zum Mittelpunkt seines Lebens. Sein Ziel war es, von Jahr zu Jahr besser zu werden.
Der Mann, der doppelt so lang inhaftiert hinter Anstaltsmauern gelebt hatte wie als junger Mann in Freiheit, hatte seinen Platz gefunden. Er hatte sich in seinem gleichmäßigen Alltag eingerichtet und empfand Frieden. Der Stamm saß auf der Erde und schaute in die samtschwarze Nacht des australischen Outback. Zwei Nächte zuvor hatten sie einen hellen Schein über den Himmel wandern sehen. Sie wussten nicht, ob das ein Stern oder etwas Neues aus der Welt der »Veränderten« gewesen war. In der folgenden Nacht, als er wieder erschien und denselben Weg nahm, waren sie verwirrt. Gewiss würde er nicht nochmals kommen, doch er tat es. Drei Nächte hintereinander konnte man ihn unter den anderen Sternen glänzen sehen.
»Was ist das?« fragte jemand. »Glaubt ihr, das ist ein Zeichen?«
»Wir müssen nach Anleitung fragen. Ich werde um einen Traum bitten.«
Normalerweise träumten die »Wahren Menschen« nachts nicht. Sie glaubten, dass der Schlaf die Zeit sei, in der der Körper ruht, sich erholt, heilt, sich wieder mit Energie auflädt. Wäre ein Teil von jemandes Bewusstsein mit Träumen beschäftigt, so wäre das eine physische Ablenkung. Sie begriffen, dass die »Veränderten« bei Nacht träumten, aber das war verständlich. In dieser Gesellschaft durfte man nicht tagsüber im Wachzustand träumen, wie es die »Wahren Menschen« taten. Heute nacht würden einige Mitglieder wie vereinbart um eine Traumbotschaft bitten.
Mapiyal wandte das gleiche Verfahren an wie die anderen. Sie nahm einen Muschelbehälter mit
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