Traumreisende
Taufe ins Kirchenbuch ein und ging dann sofort weg, denn er wusste, Birdie würde sich um alles kümmern, was heute erledigt werden musste, und hätte auch noch ihre Freude daran. Er machte sich auf den Weg zu einer armen verlorenen Seele namens Shirley, die versuchte, ihr Leben als Prostituierte aufzugeben, um ein braves Mädchen zu werden. Es war sein sechster Besuch. Bislang hatte sie den Kampf verloren und schien dabei den guten Reverend mitzureißen.
Geoff blieb nur so lange in dem prachtvollen Haus, wie es dauerte, um die Taufe zu vollziehen und eine Familie vom Land zu finden, die gerade auf ihrer alle sechs Monate stattfindenden Einkaufsfahrt in Sydney war und sich bereit erklärte, den Korb mit dem Aborigine-Kind zu ihren übrigen Paketen in den Zug zu laden, um die Rückfahrt in ihre Landgemeinde anzutreten. Die Manövers hatten eine neunjährige Tochter - Abigail -, die es übernahm, den kleinen Jungen hingebungsvoller zu füttern und zu versorgen als ihre reizende Porzellanpuppe. Trotz der langen Zugfahrt wurde schon kurz nach ihrer Ankunft zu Hause ein Arbeiter angewiesen, das Kind, das sich fast wieder erholt hatte, auf den nächsten Teil seiner Reise zu bringen. Im Alter von zweiundsiebzig Stunden hatte der Zwilling alle Verbindungen zu seinen Vorfahren verloren, war sechshundert Kilometer gereist und auf den Namen Geoff getauft worden und würde jetzt das Mündel einer reichen weißen Familie auf dem Land werden. Er sollte zu Birdies Schwägerin und Schwager gebracht werden, Matty und Howard Willett.
Ihre früheste Erinnerung war die, wie sie zu dem weißen Fleisch unter Doreens Kinn aufgeschaut hatte, wenn sie vom Fliesenboden gehoben und in eine runde Blechwanne mit kaltem Wasser getaucht worden war. Sie stand aufrecht darin, hielt sich an der Seite fest und war fasziniert von der schäumenden Oberfläche, die sich auf einer Höhe mit ihrer Kehle befand. Der ölige Inhalt ließ das Wasser in glänzenden Regenbogenfarben schillern. Entweder hatte sie den Rand losgelassen, um nach dem Glitzern zu greifen, oder sie hatte einen Schritt tun wollen und war ausgerutscht, jedenfalls hatte sie sich plötzlich unter Wasser befunden. Später erinnerte sie sich, wie sie nach Luft gerungen und einen Halt zu finden versucht hatte, und sie entsann sich, dass sie nur verschwommen hatte sehen können, während die Angst vor dem Unbekannten ihr Herz und Lungen füllte. Wunderbarerweise fand sie den Rand der Wanne. Sie hustete und weinte, bis Doreen ins Zimmer zurückkam. Ihre erste Erinnerung an diese Welt war Entsetzen. Das hatte sie mit zwei Jahren erlebt.
Sie war die letzte einer Gruppe kleiner Mädchen in der Obhut des Waisenhauses der Barmherzigen Schwestern gewesen, die untergetaucht oder - genauer - gebadet wurden. Doreen sagte, sie wäre immer die letzte, weil sie die kleinste sei, aber die anderen Kinder sagten, es wäre, weil sei am hässlichsten sei. Sie waren alle hässlich. Sie wusste das, weil sie es wiederholt von den Erwachsenen gehört hatte. Jetzt begann sie zu verstehen, was es bedeutete, als hässlichste von allen betrachtet zu werden. Sie hatten alle eine verschiedene Hautfarbe, waren unterschiedlich dunkel wie der Tee, den Doreen jeden Tag trank und in den sie Milchtropfen gab, um die Schattierung zu variieren. Nur war ihre Farbe das Ergebnis einer verlorenen Mutter und eines unbekannten Vaters. Binnen Stunden nach ihrer Geburt war sie ein Mündel der Kirche geworden. Dort war es üblich, Mädchen in alphabetischer Reihenfolge zu benennen, jedes Jahr beim Buchstaben »A« beginnend. Da es Januar war und sie im Jahre 1936 der zweite Abkömmling, erhielt sie den Namen Beatrice.
Sie erfuhr nie etwas über ihre Eltern oder ihre übrige Familie. In späteren Jahren versuchte sie sich vorzustellen, wie es wohl gewesen wäre, Eltern zu haben, eine liebevolle Mutter, einen fürsorglichen Vater, vielleicht sogar eine Schwester oder einen Bruder, aber sich das auszumalen war schwieriger, als mit offenen Augen zu schlafen. Sie hatte ihr ganzes Leben als Tochter von niemandem gelebt und fühlte sich immer sehr alt.
Wenn sie während der Messe oder bei den Mahlzeiten beteten, pflegte sie die zum Gebet gefalteten Handrücken der anderen Mädchen zu studieren. Die hatten schöne, glatte Haut, aber ihre Hände hatten Venen, die sich an der Oberfläche kräuselten wie das ansteigende Terrain rings um die Anstalt, und glichen denen der alten, verdorrenden Schwester Agatha, der diensthabenden Oberin. Die
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