Traumreisende
nicht mehr hin. Er blieb für sich, hielt sich so selten wie möglich im Haus auf und löste sich seelisch von seiner Adoptivfamilie.
Mit sechzehn Jahren war er alkoholsüchtig, und an einem regnerischen Donnerstag kehrte er einfach nicht mehr nach Hause zurück. Er trank so viel, dass er in einem alten Schuppen, den seine Freunde für ihre Treffen benutzten, das Bewusstsein verlor. Er hatte vor den Marshalls seinen Alkoholismus verbergen können, weil er niemals so stark getrunken hatte, dass er betrunken wurde. Statt dessen trank er ständig geringe Mengen, so dass er Stunde für Stunde, Tag für Tag unter dem Einfluss von Alkohol stand. Der Bruch mit der Familie Marshall erfolgte schnell und unkompliziert. Sie suchten nicht nach ihm, und er vermisste keinen von ihnen.
Im Januar 1952 wurde Beatrice sechzehn. Ihr eigentlicher Geburtstag war kein bemerkenswertes Ereignis. Der Tag kam und ging, ohne dass jemand davon Notiz genommen hätte. In der Missionsstation der Barmherzigen Schwestern hatte es noch nie eine Geburtstagsfeier gegeben.
In der ersten Februarhälfte wurde sie in Pater Pauls Büro bestellt. An einem langen Tisch saßen die Schwestern Agatha und Margaret, Raphael, der Priester, und eine weiße Frau in mittleren Jahren, die ein blaues Kleid und dazu passend einen kleinen Hut mit Schleier trug.
»Dies ist Mrs. Crowley«, stellte Pater Paul die Fremde vor. »Sie ist gekommen, um dir eine Arbeitsstelle anzubieten. Wir sind nur verpflichtet, bis zu deinem sechzehnten Geburtstag für dich zu sorgen. Also ist es jetzt an der Zeit, dass du dich auf eigene Füße stellst. Mrs. Crowley hat eine Pension und braucht Hilfe beim Putzen der Zimmer, beim Zubereiten der Mahlzeiten und bei der Bedienung der Gäste. Dazu solltest du in der Lage sein, meinst du nicht?«
»Ja«, antwortete Beatrice scheu.
»Gut. Nun, dann geh mit Schwester Margaret deine Sachen holen, und nach dem Mittagessen wird Mrs. Crowley dich mitnehmen.« Er stand auf.
Beatrice wusste aus früherer Erfahrung, dass sie damit entlassen wäre. Sie ging zu ihrem Platz im Schlafsaal und setzte sich auf ihr Bett. Ihr Puls raste. Sie hatte sich nicht erlaubt, sich eng und vertrauensvoll mit jemandem anzufreunden, seit sie ihre Schwester Freda verloren hatte.
Trotzdem würde sie die anderen Mädchen vermissen, vor allem die jüngeren. Sie zog eine Zigarrenkiste unter ihrer Matratze hervor und drückte sie liebevoll an sich. Die enthielt alles, was sie besaß und was ihr wichtig war: eine leere Jodflasche, Fredas weißen Schleier, einen glänzenden Stein und ein paar Notizen, die Freda geschrieben hatte.
Schwester Margaret kam mit einem Papiersack herein. Beatrice faltete ihre Unterwäsche und ihre Nachthemden zusammen und steckte sie in den Sack; dann legte sie die Zigarrenkiste dazu.
Sie durfte zur Gemeinschaftsgarderobe gehen und sich zwei Hauskleider aus Baumwolle nehmen, die sie ihren Besitztümern hinzufügte. In den letzten paar Jahren hatte Beatrice keine Gelegenheit gehabt, Schuhe zu tragen, aber sie fanden ein von einer Nonne abgelegtes Paar, das einigermaßen passte und mit dem sie in Mrs. Crowleys Haus anständig aussehen würde. Beatrice hasste es, wie die Schuhe sich an ihren Füßen anfühlten.
Um die Mittagsstunde kündigte Pater Paul ihre Abreise an. Sie sagte der ganzen Schule von ihrem Platz am Esstisch aus Lebewohl. Um ein Uhr saß sie auf dem Rücksitz einer Limousine zwischen frischem Gemüse, zwei Teilen eines blau angestrichenen Liegestuhls aus Metall und einem hölzernen Garderobenständer, der noch vier der ursprünglichen sechs Haken besaß.
Während Mrs. Crowley fuhr, wurde wenig gesprochen. Das spielte aber keine Rolle, denn Beatrice war zu sehr damit beschäftigt, in die Welt hinauszuschauen, von der sie so wenig wusste. Die Tatsache, dass sie nun für den Rest ihres Lebens den Mauern des Waisenhauses entronnen war, raubte ihr fast den Atem. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie fuhr, was dort stattfinden und wie sie damit fertig werden würde. Alles, was sie wusste, war, dass sie heute morgen noch der Missionsschule angehört hatte, und jetzt galt es, festzustellen, wie es wäre, zu jemandem namens Mrs. Crowley zu gehören.
Für Geoff Marshall waren die Jahre zwischen sechzehn und dreiundzwanzig wie verschwommen. Er wechselte zwischen alkoholisierten Hochstimmungen und tiefer Depression und stand bei Regengüssen und Schneestürmen, Hagelschauern und brütender Hitze an Autobahnen und Landstraßen.
Im Januar 1953, am
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