Traumreisende
es vor die Kunden. Dann ging er zurück in die Küche. Die beiden aßen schweigend. Als sie fertig waren, ging Harry hinter die Theke, öffnete den Kühlschrank und nahm zwei Sechserpackungen Bier heraus.
»Nimm die«, sagte er, holte zwei weitere Packungen heraus und trug sie zum Auto.
Geoff wusste, dass der Koch nichts unternehmen würde. Er würde nicht die Polizei rufen und vermutlich nicht einmal dem Besitzer Bescheid sagen, falls er nicht mit der Notwendigkeit konfrontiert würde, das Fehlen von vier Sechserpackungen Bier zu erklären. In Texas war er so oft Zeuge gewesen, wie manche Leute von Schlägern schikaniert wurden, dass er ihr Verhalten leicht vorhersagen konnte. Anscheinend bestand sein Leben mehr und mehr daraus, andere Leute zu beobachten und selbst kaum etwas zu tun. Die nächsten paar Tage verliefen genauso wie die vorherigen.
Harry verließ den Highway, und sie wurden bewusstlos oder schliefen, sie wussten es beide nicht genau. Sie stahlen Autokennzeichen und wechselten sie zweimal; nur ein einziges Mal bezahlten sie für eine Tankfüllung. Harry schien die Spannung zu genießen, beinahe geschnappt zu werden.
Am Morgen des vierten Tages waren sie auf dem Highway 66 vor einem Lebensmittelgeschäft, dem Cottonwood Market. Die Stadt hieß Linwood, Kalifornien. Zwei Metallschilder standen am Straßenrand. Auf dem oberen stand LINWOOD, 37 EINWOHNER, auf dem unteren FORT IRWIN, und ein Pfeil zeigte auf die Abfahrt vom Highway.
»Ich denke, hier musst du aussteigen, Farmer«, sagte Harry.
»Nimm das restliche Bier.«
»Danke«, antwortete Geoff. »Hast du wirklich Lust, zur Army zu gehen?«
»Na, wir werden sehen. Vielleicht bleibe ich mein Leben lang dabei. Bevor ich zu Hause wegfuhr, habe ich gehört, dass man mich, solange ich meinen Militärdienst leiste, nicht wegen irgendwelcher Zivilsachen verhaften kann. Für mich hört sich das an wie 'ne Lizenz zum Klauen.« Harry startete den Wagen, verließ den ungepflasterten, mit Kies bestreuten Parkplatz und schaute sich nicht mehr um. Geoff betrat das Geschäft und kaufte sich eine Tüte Kartoffelchips. Als er wieder draußen war, ging er langsam in westliche Richtung, aß immer wieder mal einen Bissen von seinem Frühstück und hob zwischendurch den Daumen, wenn Autos vorbeikamen. Linwood - so hatten sie von einem Verkäufer in dem Supermarkt gehört - lag noch in der Mojave-Wüste, und bis zur Küste waren es weitere dreihundert Kilometer. Geoff war fünfzehn Minuten gegangen, als er hörte, wie hinter ihm ein Wagen langsam an den Straßenrand fuhr und hielt. Als er sich umdrehte, erkannte er die Zeichen auf den Seiten des Autos. Der Wagen gehörte zur California Highway Patrol. Er blieb stehen; ein Uniformierter stieg aus und kam auf ihn zu.
»Was machst du hier, Junge?«
»Ich bin unterwegs nach Los Angeles.«
»Zeig mir deine Papiere.«
»Ich habe keine.«
Der Uniformierte musterte ihn und sagte schließlich: »In dem Fall muss ich dich zur Vernehmung mitnehmen und Fingerabdrücke von dir machen. Steig in den Wagen.«
Geoff tat wie geheißen, ohne einen Kommentar abzugeben oder zu protestieren. Er wurde fünfzig Kilometer bis in die Stadt Victorville gefahren, wo die Highway-Patrouille ein Büro hatte.
Dort sagte man ihm, er solle seine Taschen leeren, und nahm ihm die Fingerabdrücke ab. Er wurde in einen Raum gebracht, in dem ein Tisch und zwei Stühle standen, und dort für die nächsten zwei Stunden eingeschlossen. Er wusste nicht, warum man ihn aufgegriffen hatte. Er wusste nicht, ob es etwas damit zu tun hätte, dass er mit Harry zusammengewesen war.
Endlich, als ein Fremder hereinkam, um mit ihm zu reden, beantwortete er alle Fragen so ausweichend wie möglich und behauptete, er gehe bloß zu Fuß nach Los Angeles. Sie schienen keinen Grund finden zu können, ihn festzuhalten, also wurde er am Nachmittag entlassen. Als er verlangte, man solle ihm den Inhalt seiner Taschen zurückgeben, sahen zwei Uniformierte einander an und schüttelten die Köpfe. »Deine Taschen waren leer, weißt du das nicht mehr?« Plötzlich waren die Rollen klar definiert. Er war nicht länger ein Zuschauer, der einen Schikanierer und sein Opfer beobachtet. Jahrelang hatte er geglaubt, die anderen seien Schwächlinge, und nicht verstehen können, warum sie sich missbrauchen ließen. Jetzt war er in der Situation, sich entweder zu wehren oder zu unterwerfen. Die Schmuckstücke bedeuteten ihm nichts. Er hatte nicht das Gefühl, sich die verdient zu
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