Traumreisende
nochmals aus. Drei von irgend etwas. Es konnten keine drei Kilometer, es mussten drei Tage sein. Tagelang zu gehen war kein Problem. Sie hatte in den letzten Jahren genug Zeit damit verbracht, auf Straßen und über Land zu gehen.
Beatrice war erstaunt, dass die Frau wusste, in welche Richtung sie gehen mussten. Es gab keinerlei Markierungen, und alles sah gleich aus. Die Erde war von einem rötlichen Grau, die Büsche blassgrün bis dunkelgrün, die Steine hatten dieselbe Farbe wie die Erde, und vereinzelte Eidechsen verschmolzen so gut mit der Landschaft, dass nur ihre hin und her huschenden Augen sie verrieten. Nachdem die Schafsfarm außer Sicht war, verlor Beatrice jegliche Orientierung. »Woher weißt du, wohin wir gehen müssen?«
Die Frage wurde mit einer Geste beantwortet. Die Frau hob die Hand, drei Finger zurückgebogen, den Daumen in Richtung Erde, den kleinen Finger Richtung Himmel gestreckt. Beatrice verstand die Geste nicht und begriff auch nicht, warum die Frau nicht einfach redete und die Frage beantwortete. Vermutlich bedeutete sie, dass sie etwas am Himmel und etwas auf der Erde folgte, aber das spielte keine Rolle. Von allem fortzugehen, was sie je gekannt hatte, musste richtig sein. Je weiter die Blechhütten hinter ihnen lagen, desto sicherer wusste sie, dass ihr richtiger Platz irgendwo da draußen vor ihnen wäre. Mit jedem Schritt fühlte sie zuversichtlicher, dass sie ihn finden würde.
Dreißig Minuten später blieb die Frau stehen, wandte sich nach Beatrice um und sagte: »Hier danken wir unserer Mutter, der Erde. Unser Körper ist aus ihr gemacht. Sie gibt uns unsere Mahlzeiten und Nahrung, sie liefert uns unsere Medizin, sie reinigt uns mit ihren Tränen. Wir schlafen in ihren Armen. Wenn wir sterben, nimmt sie unsere verbrauchten Knochen auf, um sie mit den Leibern unserer Vorfahren und der noch Ungeborenen zu verschmelzen. Es ist Zeit, dass wir das zurückgeben, was ihr genommen wurde und was wir nicht mehr brauchen.« Sie sprach zu der Erde und bat um Erlaubnis, sie zu öffnen. Dann ging sie auf die Knie und begann mit den Händen ein Loch zu graben.
»Darf ich helfen?«
Die Antwort war ein zustimmendes Nicken. Beatrice kniete sich ihr gegenüber hin, und sie gruben zusammen. Endlich zog die Frau ihre knopflose karierte Bluse aus und ließ sie in das Loch fallen. Dann band sie ihr Lendentuch ab, legte es ebenfalls hinein und stand auf. Ein geflochtenes Band wurde sichtbar, das um ihre Hüften gebunden war und an dem ein kleiner Lederbeutel hing. Die Frau gab keine Erklärung für den Beutel ab; sie sah Beatrice an, als wolle sie sagen: Du bist an der Reihe. Alle Predigten in der Missionsschule fielen Beatrice wieder ein, die Gefühle der Scham und Verlegenheit, die mit dem nackten menschlichen Körper verbunden gewesen waren.
Beatrice zögerte nur kurz und legte dann ihren geblümten Rock und die Bluse auf das Kleiderhäufchen. Wieder sprach die Frau zur Erde und dankte der Kleidung, während diese verschwand, als die beiden Frauen sie mit Erde bedeckten und dann den Boden glatt strichen. Zuletzt spitzte die ältere Frau die Lippen und blies auf den Sand, entfernte alle Spuren, die ihre Hände und Knie hinterlassen hatten. Es war nichts mehr davon zu sehen, dass diese Stelle jemals berührt worden war. Dann wandte sie sich an Beatrice und sagte: »Du wirst dich nicht mehr so unbehaglich fühlen, wenn du die anderen kennen gelernt und mehr über die Bräuche meines Volkes erfahren hast, des Stammes der >Wahren Menschen<.«
»Aber du hattest auch etwas an!« bemerkte Beatrice.
»Ja, es ist notwendig, diese Denkungsart zu respektieren. Wir stimmen nicht damit überein, aber wir urteilen nicht. Wir beobachten statt dessen. Manchmal, wenn das Wetter kalt ist, ist Kleidung notwendig, aber sie scheint zu mehr Urteilen und Trennung unter den Menschen zu führen, nicht zu weniger. Ich bin sicher, du hast bemerkt, wie verwirrend es ist, wenn man nach dem Eindruck urteilt, den die äußere Erscheinung macht.
Der Mensch kann ganz anders sein als das Bild, das er darbietet. Du wirst entdecken, wie ich es entdeckt habe, dass es keine Scham gibt, außer dann, wenn die Gruppen sie selbst erzeugen. Wenn du weiterhin Rock und Bluse tragen würdest, dann würdest du dich nur als Außenseiterin in einem Stamm fühlen, der möchte, dass du ein Teil von uns wirst.«
Sie gingen weiter. Beatrice war froh darüber, dass ihr Kontinent insofern einzigartig war, als die meisten seiner vierbeinigen
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