Traumreisende
selten darauf verlassen, eine Information weiterzugeben, indem wir sie niederschrieben. Für uns war das weder notwendig noch angemessen. In vielen Kulturen funktioniert es gut, aber es geht dabei nicht um besser oder schlechter. Du hast eine Schule besucht und kennst den Wert des geschriebenen Worts und auch dessen Fallstricke. Bei meinem Volk wirst du das Leben ganz anders sehen. Dann kannst du selbst entscheiden. Wir haben die Schrift von Symbolen auf unseren Nachrichtenstäben für zukünftige Reisende Tausende von Jahren benutzt. Wir haben die Geschichte in Höhlen und Schluchten aufgezeichnet, aber unser Volk hat sein Leben immer gelebt, indem es sich auf den Geist verließ, nicht auf materielle Dinge. Wir haben nie daran gedacht, die Natur zu manipulieren, die Elemente zu kontrollieren oder uns selbst zu Übermenschen zu entwickeln.
Die Entstehung der Welt ist noch nicht beendet. Es ist nicht vernünftig, wenn der Mensch entscheidet, er sei das Beste, was existiert. Noch immer passen Pflanzen sich an, Tiere entfalten sich, und die Menschen müssen noch einen langen Weg zurücklegen, bis ihr spirituelles Bewusstsein ihr bloßes Reden davon einholt. Wir dagegen haben unsere Lebensweise so entwickelt, weil unser Wunsch der nach Langlebigkeit und Harmonie für alles Leben ist. Beatrice, ich bin mir sicher, dass du eines Tages nicht mehr das Bedürfnis empfinden wirst, dein Erbe zu verteidigen, und dass du genau wie ich zu schätzen wissen wirst, welch ein Segen es ist, dass wir Aborigines sind.«
»Ja«, antwortete Beatrice. »Ich finde, es ist bedeutsam, zu einer Kultur zu gehören, wo die Menschen nicht Farmer, Kaufleute und Anwälte sind, sondern Künstler, Dichter, Musiker und Magier. Du hast recht. Wir haben Grund, stolz zu sein!«
Aus dem Gebüsch ragte eine Ansammlung von Felsen heraus, wo sich in einer Vertiefung Regenwasser gesammelt hatte. Der Boden war mit Federn bestreut, und die Kadaver von zwei Vögeln schwammen in der dunklen Flüssigkeit. Benala nahm die getrocknete Schlangenhaut von ihrem Gürtel und wedelte mit der Hand im Wasser herum, um eine Stelle von Verunreinigungen zu befreien. Dann schöpfte sie mit der Schlangenhaut etwas Wasser heraus und sagte zu Beatrice, sie solle die so gefilterte Flüssigkeit trinken. Danach wechselten sie sich ab, und die Führerin stillte ihren Durst am stetigen Tröpfeln des gesäuberten Wassers.
Nach einer Ruhepause wanderten sie weiter, und irgendwann flog über ihnen ein kleiner Schwärm farbenprächtiger gelbgrüner Vögel. Bald sahen sie die gleiche Art von Vögeln auch einzeln fliegen oder auf nahen Ästen sitzen. Benala hielt Ausschau nach einem Nest. Als sie es entdeckte, nahm sie ein Ei heraus und ließ zwei weitere zurück, damit das Leben weitergehen könnte. Benala bohrte ein Loch in die Eierschale und saugte einen Teil des Inhalts aus. Dann reichte sie Beatrice das Ei, damit sie es leer tränke. Danach nahm Benala die leere Schale, wickelte sie in Blätter und steckte sie in den Beutel an ihrem Gürtel.
Gegen Abend lief ihnen eine ausgewachsene blauzüngige Eidechse über den Weg, und damit war ihr Speiseplan für den Tag vollständig. Später am Abend, als sie unter dem hellen Sternenhimmel saßen, schlug Benala vor, ihre Gefährtin solle über einen neuen Namen nachdenken. »Du kannst den behalten, den du hast, wenn du dich damit wohl fühlst, du kannst dir aber auch einen anderen wählen. Es gibt keine Einschränkung. Du kannst dir jeden Namen aussuchen, den du haben möchtest.«
»Was ist, wenn ich einen Namen nehmen möchte, den schon jemand anders trägt?«
»Kein Problem. Er symbolisiert bei verschiedenen Menschen verschiedene Dinge. Dein Name ist die Art, wie du von der Welt angesprochen werden möchtest. Er erinnert dich an irgendein bestimmtes Thema, dem du auf diesem Teil deines spirituellen Weges deine Aufmerksamkeit widmest. Mein Name beispielsweise, Benala, braune Ente, wurde gewählt, weil ich für den größten Teil meines Lebens nicht allzu ernsthaft war. Es muss ein Gleichgewicht zwischen Lernen und Spiel geben. Ich bewundere die Fähigkeit der Ente, einfach zum Spaß herumzuschwimmen, nicht auf der Suche nach Nahrung, nicht, um einer Gefahr zu entgehen, nicht, um Zuschauer zu beeindrucken, sondern einfach um des Vergnügens willen. Ich verbringe nicht viel Zeit auf diese Weise, und ich arbeite daran, eine etwas freier schwimmende Persönlichkeit zu entwickeln!« Sie kniff die Augen zusammen und zog die Brauen hoch, während
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