Traumreisende
erkennen oder ehren.
Ich glaube, das ist der Grund, warum es den Aborigines so schwer fällt, Rassenvorurteile zu verstehen. Wir betrachten keinen Menschen wertvoller als den anderen. In unseren Gruppen und Stämmen tun die Mitglieder das, was sie tun, weil sie es gern tun, nicht, weil es am eindrucksvollsten wirkt oder weil ihnen dafür irgendeine besondere Belohnung winkt. Jeder trägt das bei, was er beizutragen wünscht, und jeder bekommt dafür aufrichtigen Dank, und so fühlen sich alle akzeptiert und wertvoll. Selbst unsere sogenannte Führerschaft ist im Grunde freiwillig und wechselt oft. Unsere Ältesten sind respektierte ältere Mitglieder der Gemeinschaft, die aufgrund von mehr Erfahrung weiser sind.
Du musst wissen, dass ich sehr allgemein spreche. Es gab Hunderte von Volksstämmen, und wie bei allen Gruppen gab es Unterschiede in ihrer jeweiligen Lebensweise. Ich weiß nicht, aus welchem Stamm meine Eltern und Großeltern kamen. Du und ich sind eine Generation von gestohlenen Kindern, die ihren Eltern bei der Geburt weggenommen wurden. Ich vermute, dass du auch nie über die Einzelheiten deiner Geburt informiert worden bist.« Beatrice schüttelte den Kopf.
»Ich persönlich«, fuhr Benala fort, »gewann die größte Einsicht aus dem Vergleich der beiden Gesellschaften, der
>Veränderten< in der Stadt und unserer Flüchtlingswelt hier in der Wüste, aus dem Verständnis meiner Rolle als Ewiger Geist, der eine menschliche Erfahrung macht, und aus dem Verständnis des Unterschieds von Urteilen und Beobachtungen. Da ich in der Stadtwelt aufgewachsen bin, hat man mich gelehrt, alles zu beurteilen: die Menschen nach ihrem Aussehen, den Besitz nach seinem Wert, den Tag nach dem Wetter, die Gesundheit nach dem jeweiligen Grad eventuell vorhandener Schmerzen. Die Welt ist voll von kundigen Richtern, die sich nie ganz einigen können. Jeder Mensch ist schließlich irgendwie ein einzelner in den wichtigsten Überzeugungen, die sein Handeln bestimmen, sogar im Hinblick auf seinen eigenen Ehegatten, seine Familie und seine Freunde.
Hier in der Wüste habe ich das Beobachten gelernt. Urteilen bedeutet, über Richtiges oder Falsches oder Abstufungen davon zu entscheiden. Wenn du urteilst, machst du dich automatisch zur anderen Hälfte der Gleichung. Du musst also auch Vergebung erfahren und erlernen. Wenn du urteilst, musst du letztlich dieselbe Zeitspanne -Augenblick für Augenblick - mit Verzeihen ausfüllen. Falls du das nicht tust, solange du am Leben bist, wirst du es zu einem anderen Zeitpunkt tun.
Das Beobachten ist eine völlig andere innere Einstellung. Sie erfordert den Schritt des Verzeihens nicht. Du erkennst alle Menschen als Ewige Seelen an, erkennst an, dass sie sich alle auf ihrer Reise durch die Schule menschlicher Erfahrung befinden, und du erkennst an, dass alle Seelen die Gabe des freien Willens und der Wahlfreiheit besitzen, die der Schöpfer ihnen geschenkt hat. Mit anderen Worten, Menschen, die anders sind als du, haben nicht unrecht. Sie treffen einfach andere spirituelle Entscheidungen.
Unser Körper hat fünf Sinne, die alles in ihm miteinander verbinden; das Beobachten kann also mit den Augen oder mit der Nase oder mit einem der anderen Sinne erfolgen. Jeder von uns muss entscheiden, was für ihn richtig ist, um zu einer positiven Reise beizutragen. Dafür hat auch jeder die Verantwortung, anderen zu dienen, die seinen Weg kreuzen.
Anstatt das moderne Wertesystem zu beurteilen, würde unser Stamm beispielsweise sagen, dass wir es riechen, und der Geruch ist für uns einer, den wir lieber ablehnen. Du und ich, wir haben diese andere Welt geschmeckt und gefühlt, und für uns ist sie nicht hilfreich auf unserem Weg. Wir haben diese Denkungsart gesegnet und sind fortgegangen. Wir verurteilen sie nicht als falsch, unverantwortlich oder egoistisch. Wir haben nur beobachtet, was vor sich ging, und entschieden, dass wir nicht daran teilhaben möchten. Dazu gehört noch mehr, denn es hat mit dem Bewusstsein der Göttlichen Einheit zu tun, aber darüber können wir ausführlicher sprechen, wenn noch andere Mitglieder des Stammes anwesend sind.
Mein Volk wird die >Karoon< genannt, was soviel wie erste, ursprüngliche, unveränderte, in Einheit denkende oder wahre Menschen bedeutet. Ich spreche vom Stamm der >Wahren Menschen<. Die Gesellschaft europäischen Typs wird Gesellschaft der >Veränderten< genannt, die nicht mehr in der Einheit denken und verändert oder umgewandelt sind.« Benala
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