Traumreisende
angekommen wäre. Die junge Mutter war hungrig, nachdem sie einen Tag lang gefastet hatte, und so aß sie, nachdem sie den Geistern der Nahrung Dank gesagt hatte.
Am nächsten Morgen gingen Mutter und Kind zu einer felsigen Grotte, wo sich die hohen Wellen des Meeres in einer kleinen Lagune fingen. Das Wasser sickerte langsam in den Boden ein, so dass die Pflanzen und Blumen ringsum so hoch gewachsen waren, dass die Mutter die Stengel auseinanderschieben musste, um ihr Ziel zu erreichen. Dort nahm sie ein Bad und machte ihre neugeborene Tochter mit der Welt des Wassers außerhalb des Mutterschoßes bekannt.
Am dritten Tag gingen die drei erwachsenen Frauen zum Lager ihrer Gemeinschaft zurück. Sie trugen das Kind in einer Trageschale, die mit Blütenblättern ausgelegt war. Sie reichten das Baby seinem Vater, der zu beiden Seiten von den älteren weisen Anführern flankiert war. Die Großmutter beobachtete die Übergabe, achtete aber darauf, dem Vater nicht in die Augen zu sehen. Seit undenklichen Zeiten hatte es sich als am besten erwiesen, wenn Schwiegermutter und Schwiegersohn keinen Augenkontakt miteinander hätten. Jetzt war das eine Stammesregel.
Es gab ein Festessen zur Feier des neuen menschlichen Lebens. Gewöhnlich waren die Stammesangehörigen keine starken Esser; sie hatten überwiegend die hagere, athletische Statur der Aborigines, aber dieser Tag war etwas Besonderes und die Speisen reichlich. Nachdem alle gegessen hatten, spülten einige die Schüsseln aus und reinigten den Essplatz, während andere sich auf die Zeremonie vorbereiteten, bei der wieder alle Aufmerksamkeit auf das Baby gerichtet sein würde.
Ein Musiker nahm den ausgehöhlten Ast eines Baums, blies hinein, und damit begann die Musik. Mit aneinandergeschlagenen Stöcken wurde der Rhythmus angegeben. Männliche Tänzer mit weißen Kakadufedern, die sie an ihre Schenkel geklebt hatten, und mit hohem Kopfputz aus Palmwedeln bewegten sich in der Form einer Geschichte, die alle an die Traumzeit erinnern sollte, die allen Geist schuf. Die Frauen waren mit weißer Kreide bemalt, die glitzerte, weil sie mit zermahlenen Muschelschalen vermischt war, und sie trugen Blumen, da es die Jahreszeit der Blüte war.
In den Liedern und Tänzen entfaltete sich die Geschichte, die besagt, dass am Anfang - in der Zeit vor der Zeit - nichts war außer dem Traum der Göttlichen Einheit. Das Traumzeitbewusstsein dehnte sich aus und schloss dann eine Energieschicht ein, die die Gabe des freien Willens empfing.
Dies gestattete der Energieschicht, den Ahnengeistern, sich an der Erschaffung des Traums zu beteiligen. Tänzer und Tänzerinnen stellten die Lehren der Ahnen, die Tiergeister und das geheiligte Erbe der Erde dar. Endlich war das Baby bereit, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Die Kleine hatte die ganze Geschichte angehört. Ihr Name würde Indigo sein nach der Blume, die alle fünfzig Jahre nur einmal blühte. An dem Tag, an dem sich die Blüte öffnete, hatte die werdende Mutter sie angeschaut, und in diesem Augenblick hatte sich der Fötus zum ersten Mal bewegt. Die sanfte Bewegung im Leib der Mutter, die an das Flattern eines Schmetterlings erinnerte, wurde als Zeichen dafür angesehen, dass der Geist mit der seltenen Blume in Verbindung stände.
Indigo lebte vier Jahre lang mit ihrer weitläufigen Familie an diesem heiteren Ort. Sie bewegten sich hin und her zwischen den nahen Bergen und der Küste, je nach Jahreszeit. Sie schlief jede Nacht an jemandes Brust gekuschelt oder in einer Reihe neben anderen Kindern. Ihr Morgen-und Nachmittagsschläfchen hielt sie im Schatten, und die Sonne spielte mit ihr Verstecken, wenn eine Brise die Blätter des tropischen Baums bewegte.
Als sie alt genug war, um sich aufzusetzen und zuzuschauen, unterhielten die anderen kleinen Mädchen sie damit, dass sie mit langen, schmalen Grashalmen spielten, als seien die Grashalme richtige Personen. Sie führten einen Grashalm umher und spielten, er sei ein Erwachsener, der seinen normalen alltäglichen Beschäftigungen nachging. In der entsprechenden Jahreszeit hatten die Kinder auch Puppen, die aus einem blühenden Ast mit Zweigen bestanden. Zu anderen Zeiten wurden die Puppen aus Grasbündeln gemacht, die man zu einer menschlichen Gestalt zusammengebunden hatte. Ein Kind spielte statt mit einer Puppe immer mit dem Baby Indigo, so dass es immer in das Spiel einbezogen war. Einen persönlichen Besitz an einem Spielzeug gab es nicht. Jedes Kind hatte seine
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