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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Das war das Land meiner Familie. Es hat uns seit Generationen gehört. Dein Vater hat sein Anwesen auf unserem Grund und Boden errichtet. Während des Krieges, als wir in Pakistan waren.« Er deutete auf die Obstwiese. »Und dort? Dort standen früher die Häuser der Leute. Dein Vater hat sie plattmachen lassen. Auch das Haus, in dem mein Vater geboren wurde und aufgewachsen ist.«
    Adel blinzelte.
    »Er hat unser Land in Besitz genommen und das …« – er verzog höhnisch das Gesicht, als er mit einem Daumen auf das Anwesen zeigte – »… das Ding da erbauen lassen.«
    Adel, dessen Herz heftig pochte und der eine leichte Übelkeit verspürte, sagte: »Ich dachte, wir wären Freunde. Wieso erzählst du mir diese schrecklichen Lügen?«
    »Weißt du noch, wie ich dir das Trikot abgeluchst habe?«, fragte Gholam, und Röte stieg ihm in die Wangen. »Du hättest fast geheult. Streite das ja nicht ab, denn ich habe es genau gesehen. Du wolltest wegen eines Trikots heulen. Wegen eines Hemds . Stell dir vor, wie es uns ergangen ist, als wir nach der langen Reise von Pakistan aus dem Bus gestiegen sind und dieses Ding auf unserem Land vorgefunden haben. Und dann euer Blödmann mit dem lila Anzug, der uns von unserem eigenen Grund und Boden vertrieben hat.«
    »Mein Vater ist kein Dieb!«, erwiderte Adel scharf. »Da kannst du jeden in Shadbagh-e-Nau fragen. Frag die Leute, was er für diese Stadt getan hat.« Er dachte daran, wie sein Baba jan die Leute in der Moschee der Stadt empfangen hatte, auf dem Fußboden sitzend, eine Tasse Tee vor sich und eine Gebetskette in der Hand. Die Menschenschlange hatte von seinem Kissen bis zum Eingang der Moschee gereicht. Männer mit dreckigen Händen, zahnlose alte Frauen, junge Witwen mit Kindern, alle bedürftig, und alle warteten darauf, mit der Bitte um eine Gefälligkeit, eine Arbeit, ein kleines Darlehen für die Reparatur eines Daches oder eines Bewässerungsgrabens oder den Kauf von Milchpulver vor ihn hintreten zu können. Und sein Vater hatte genickt und mit unendlicher Geduld zugehört, als wäre ihm jeder einzelne Mensch in der Schlange so wichtig wie sein eigenes Fleisch und Blut.
    »Ach, ja? Und wie kommt es dann, dass mein Vater die Besitzurkunden hat?«, fragte Gholam. »Er hat sie in Kabul dem Richter übergeben.«
    »Wenn dein Vater mit Baba jan spricht …«
    »Dein Baba wird nicht mit ihm sprechen. Er will nicht zur Kenntnis nehmen, was er getan hat. Er fährt an uns vorbei, als wären wir streunende Hunde.«
    »Ihr seid keine Hunde«, sagte Adel, der versuchte, seine Stimme zu kontrollieren. »Ihr seid Geier. Genau wie Kabir gesagt hat. Ich hätte es wissen müssen.«
    Gholam stand auf, entfernte sich ein paar Schritte und blieb dann stehen. »Damit du es weißt«, sagte er. »Ich habe nichts gegen dich. Du bist nur ein kleiner, dummer Junge. Aber wenn dein Baba das nächste Mal nach Helmand fährt, solltest du ihn darum bitten, dir seine Fabrik zu zeigen. Dann siehst du auch, was dort angebaut wird. Kleiner Tipp: Baumwolle ist es nicht.«
    * * *
    Am späten Nachmittag, vor dem Abendessen, lag Adel in einer Wanne mit warmem, schaumigem Wasser. Er hörte, dass Kabir unten einen alten Piratenfilm anschaute. Die Wut, die Adel den ganzen Nachmittag erfüllt hatte, war verflogen, und er dachte, dass er vielleicht zu grob zu Gholam gewesen war. Baba jan hatte ihm einmal erzählt, dass die Armen oft schlecht von den Reichen sprachen, egal, wie viel diese für sie taten. Das liege daran, dass die Armen von ihrem Leben enttäuscht seien. Das könne man nicht ändern. Das sei sogar ganz natürlich. Und wir dürfen ihnen das nicht übelnehmen, Adel , hatte er gesagt.
    Adel war nicht so naiv zu glauben, dass es auf der Welt immer hundertprozentig gerecht zuging; um dies zu begreifen, reichte ein Blick aus seinem Schlafzimmerfenster. Aber er meinte auch zu wissen, dass diese Einsicht Menschen wie Gholam nicht weiterhalf. Vielleicht brauchten Menschen wie Gholam immer einen Schuldigen, einen leibhaftigen Sündenbock, jemanden, dem sie die Schuld an ihrem mühevollen Dasein geben, an dem sie ihre Wut auslassen, den sie verfluchen konnten. Und Baba jan hatte vielleicht recht, wenn er meinte, dass man dies verstehen, sich eines Urteils enthalten, ja sogar freundlich darauf reagieren müsse. Während Adel den Seifenblasen zusah, die zur Wasseroberfläche aufstiegen und zerplatzten, dachte er daran, dass sein Vater Schulen und Krankenhäuser hatte erbauen lassen, obwohl er

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