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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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wusste, dass man in der Stadt bösartige Gerüchte über ihn in Umlauf brachte.
    Als er sich abtrocknete, streckte seine Mutter den Kopf herein. »Kommst du zum Essen herunter?«
    »Ich habe keinen Hunger«, sagte er.
    »Oh.« Sie betrat das Badezimmer und zog ein Handtuch aus dem Regal. »Komm. Setz dich. Ich rubbele deine Haare ab.«
    »Das kann ich selbst«, sagte Adel.
    Sie stand hinter ihm und musterte ihn im Spiegel. »Ist alles in Ordnung, Adel?«
    Er zuckte mit den Schultern. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihn an, als würde sie erwarten, dass er seine Wange an ihrer Hand rieb. Aber er tat es nicht.
    »Hast du jemals Baba jans Fabrik gesehen, Mutter?«
    Er merkte, dass seine Mutter kurz erstarrte. Dann sagte sie: »Natürlich. Genau wie du.«
    »Nicht auf Fotos, meine ich. Hast du sie jemals mit eigenen Augen gesehen? Warst du dort?«
    »Wie denn?«, antwortete seine Mutter, die den Kopf zur Seite neigte und sich im Spiegel betrachtete. »Helmand ist nicht sicher. Dein Vater würde weder dich noch mich jemals einer Gefahr aussetzen.«
    Adel nickte.
    Unten krachten Kanonen, Piraten brüllten beim Angriff.
    Drei Tage später tauchte Gholam wieder auf. Er kam mit energischen Schritten auf Adel zu.
    »Ich bin froh, dass du da bist«, sagte Adel. »Ich habe dir etwas mitgebracht.« Er nahm den Mantel, den er seit ihrem Streit jeden Tag dabeigehabt hatte, vom Baumstumpf. Der Mantel war aus braunem Leder und mit weicher Schafwolle gefüttert, und er hatte eine abnehmbare Kapuze. Adel hielt ihn Gholam hin. »Ich habe ihn fast gar nicht getragen. Er ist mir zu groß. Aber für dich ist er sicher genau richtig.«
    Gholam stand reglos da. »Wir sind gestern mit dem Bus nach Kabul gefahren. Zum Gericht«, sagte er tonlos. »Rate mal, was der Richter uns gesagt hat. Er sagte, es gebe schlechte Neuigkeiten. Es habe einen Unfall gegeben. Einen kleinen Brand. Die Besitzurkunden meines Vaters seien verbrannt. Vernichtet. Verschwunden.«
    Adel ließ den Mantel sinken.
    »Und weißt du, was er am Handgelenk trug, als er uns sagte, dass wir ohne die Dokumente nichts mehr tun könnten? Eine nagelneue, goldene Armbanduhr, die er beim letzten Termin mit meinem Vater noch nicht getragen hat.«
    Adel blinzelte.
    Gholam besah sich den Mantel. Es war ein schneidender, strafender Blick, der Adel beschämen sollte. Und das tat er auch. Adel wurde ganz klein. Und der Mantel in seiner Hand war plötzlich kein Versöhnungszeichen mehr, sondern ein Bestechungsangebot.
    Gholam wandte sich um und ging mit schnellen Schritten zurück zur Straße.
    * * *
    Baba jan lud noch am Abend seiner Rückkehr zu einer Feier ein. Adel saß neben seinem Vater am Kopfende des großen Tuches, das man zum Essen auf dem Fußboden ausgebreitet hatte. Baba jan aß gern auf dem Boden sitzend mit den Fingern, vor allem, wenn Freunde aus seiner Dschihad-Zeit zugegen waren. Erinnert mich an meine Tage als Höhlenbewohner , scherzte er dann. Die Frauen aßen mit Messer und Gabel am Esszimmertisch. Adels Mutter saß am Kopfende, und Adel konnte das von den Marmorwänden widerhallende Geplauder hören. Eine der Frauen mit breiter Hüfte und langen, rotgefärbten Haaren hatte sich mit einem Freund Baba jans verlobt. Sie hatte Adels Mutter mit einer Digitalkamera gemachte Fotos eines Brautmodengeschäfts in Dubai gezeigt. 
    Als nach dem Essen Tee eingeschenkt wurde, begann Baba jan zu erzählen, wie seine Einheit eine sowjetische Kolonne am Eindringen in ein Tal im Norden des Landes hatte hindern wollen. Alle hörten aufmerksam zu.
    »Sobald sie in Schussweite waren«, sagte Baba jan und strich zerstreut über Adels Haare, »eröffneten wir das Feuer. Wir trafen das Fahrzeug an der Spitze, danach einige Jeeps. Ich dachte, sie würden entweder zurückweichen oder weiter vordringen, aber was taten diese Hurensöhne? Sie stiegen aus und erwiderten das Feuer. Ist das zu glauben?«
    Im Raum wurde Gemurmel laut. Köpfe wurden geschüttelt. Adel wusste, dass mindestens die Hälfte der Männer früher Mudschaheddins gewesen waren.
    »Wir waren ungefähr dreimal so viele wie sie, aber sie hatten schwere Waffen, und es dauerte nicht lange, da wurden wir von ihnen angegriffen! Sie attackierten unsere Stellungen auf der Obstwiese. Sie trieben uns auseinander, und wir mussten uns aus dem Staub machen. Ich floh mit einem anderen Mann, Mohammed, glaube ich. Wir rannten auf ein Feld voller Weinranken, keine richtigen Rebstöcke, sondern wild wucherndes Zeug. Kugeln

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