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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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jetzt wohne. Gholam warf die Kippe weg, blinzelte in den grellen Himmel. »Kennst du das freie Feld, drüben bei der Windmühle?«
    »Ja.«
    Adel wartete auf weitere Worte, aber Gholam schwieg.
    »Ihr wohnt auf einem Feld?«
    »Vorübergehend«, murmelte Gholam. »Wir haben ein Zelt.«
    »Hast du hier noch Familie?«
    »Nein. Meine Leute sind entweder tot oder verschwunden. Mein Vater hat einen Onkel in Kabul. Aber der ist vielleicht auch schon tot. Er war der Bruder meiner Großmutter, und er hat in Kabul für eine reiche Familie gearbeitet. Meine Großmutter hat aber seit einer Ewigkeit nichts mehr von Nabi gehört, seit mindestens fünfzig Jahren. Sie sind wie Fremde füreinander. Wenn es gar nicht anders ginge, würde mein Vater ihn aufsuchen, schätze ich. Aber er will es auf eigene Faust versuchen. Hier. In seiner Heimat.«
    Sie saßen eine Weile schweigend auf dem Baumstumpf, und das Laub der Obstbäume tanzte im warmen Wind. Adel stellte sich vor, wie Gholam mit seiner Familie nachts in einem Zelt schlief, während das Feld ringsumher von Schlangen und Skorpionen wimmelte.
    Adel wusste nicht recht, warum er Gholam schließlich von ihrem Fortgang aus Kabul erzählte. Oder besser: Er hatte mehrere vage Gründe dafür. Wollte er nur den Eindruck zerstreuen, dass er ein sorgenfreies Leben führte, weil er in einem großen Haus wohnte? Wollte er ihn übertrumpfen? Ihn für sich einnehmen oder die Kluft zwischen ihnen überbrücken? Er wusste es nicht. Vielleicht war es ja alles zugleich. Adel wusste ebenso wenig, wieso ihm daran lag, dass Gholam ihn mochte, ahnte jedoch, dass es nicht nur an seiner Einsamkeit und seiner Sehnsucht nach einem Freund lag – nein, die Sache war viel komplizierter.
    »Wir sind nach Shadbagh gezogen, weil uns in Kabul jemand töten wollte«, sagte er. »Eines Tages hat ein Motorrad vor unserem Grundstück gehalten, und der Fahrer hat unser Haus mit Kugeln durchsiebt. Man hat ihn nicht erwischt. Und wir sind zum Glück unverletzt geblieben.«
    Er wusste nicht, welche Reaktion er erwartet hatte, aber es überraschte ihn, dass Gholam gar keine zeigte. Er sagte nur, immer noch in die Sonne blinzelnd: »Ja, ich weiß.«
    »Du weißt es?«
    »Die Leute bekommen ja sogar mit, wenn dein Vater in der Nase popelt.«
    Gholam zerknüllte die Zigarettenschachtel und stopfte sie in seine Jeanstasche.
    »Er hat viele Feinde, dein Vater«, sagte Gholam seufzend.
    Adel wusste das. Baba jan hatte ihm erklärt, dass einige der Männer, die während der 80er gemeinsam mit ihm gegen die Sowjets gekämpft hatten, sowohl mächtig als auch korrupt geworden waren. Sie seien vom Weg abgekommen, sagte er. Und weil er bei ihren kriminellen Machenschaften nicht mitmachen wolle, würden sie ständig versuchen, ihm zu schaden, seinen Namen durch böse, entehrende Gerüchte in den Dreck zu ziehen. Aus diesem Grund versuchte Baba jan immer, Adel zu schützen – so wollte er zum Beispiel keine Zeitungen im Haus haben, erlaubte Adel nicht, fernzusehen oder im Internet zu surfen.
    Gholam beugte sich zu ihm vor und sagte: »Wie ich gehört habe, bestellt er auch viele Felder.«
    Adel zuckte mit den Schultern. »Das siehst du ja selbst. Nur ein paar Hektar mit Obstbäumen. Und natürlich die Baumwollfelder in Helmand. Für die Fabrik.«
    Gholam grinste so breit, dass sein fauliger Schneidezahn entblößt wurde. Er fing Adels Blick auf. »Baumwolle. Du bist echt gut.«
    Adel begriff nicht, was er damit meinte. Er stand auf und ließ den Ball springen. »Revanche?«
    »Revanche.«
    »Dann los.«
    »Ich wette, du schießt dieses Mal kein Tor.«
    Nun musste Adel grinsen. »Worum willst du wetten?«
    »Weiß ich sofort: Das Zidane-Trikot.«
    »Und falls ich gewinne? Nein. Wenn ich gewinne?«
    »Das ist so unwahrscheinlich, dass ich mir an deiner Stelle keine Gedanken darüber machen würde«, sagte Gholam.
    Gholam legte eine tolle Vorstellung hin. Er sauste nach links und nach rechts und wehrte alle Schüsse von Adel ab. Und als Adel das Trikot auszog, hatte er das dumme Gefühl, um etwas betrogen worden zu sein, das rechtmäßig ihm gehörte und außerdem sein kostbarster Besitz war. Er gab es Gholam und spürte erschrocken, dass ihm Tränen in die Augen traten. Er drängte sie zurück.
    Immerhin war Gholam so anständig, das Trikot nicht sofort anzuziehen. Als er ging, sah er grinsend über die Schulter. »Dein Vater ist keine drei Monate fort, oder?«
    »Ich spiele morgen wieder gegen dich«, sagte Adel. »Um das

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