Traumsammler: Roman (German Edition)
Eltern zu Hause Mord ist ihr Hobby . Ich versuchte, mich auf die Serie zu konzentrieren, aber meine Gedanken schweiften immer wieder zum Ausflug ab. Ich stellte mir meine Klassenkameraden vor, alle im Schlafanzug und mit Taschenlampen, die Stirn gegen die Scheiben der riesigen Bassins mit Seebarschen und Aalen gepresst. Meine Brust schnürte sich zusammen, und ich rutschte auf dem Sofa herum. Baba, der sich auf dem anderen Sofa zurücklehnte, warf sich eine geröstete Erdnuss in den Mund und kicherte über eine Bemerkung von Angela Lansbury. Meine Mutter saß neben ihm und musterte mich besorgt, aber als unsere Blicke sich trafen, hellte sich ihre Miene auf, und sie lächelte mich verstohlen, fast verschwörerisch an, und ich zwang mich, ihr Lächeln zu erwidern. In jener Nacht träumte ich, ich sei an einem Strand und stünde bis zur Taille im Wasser, das in unzähligen Abstufungen von Grün und Blau, von Jade, Saphir, Smaragd und Türkis glitzerte und meinen Körper umwogte. Schwärme von Fischen umkreisten meine Beine, als wäre das Meer mein Aquarium. Sie streiften meine Zehen, kitzelten meine Beine, Tausende flitzender, schimmernder Blitze, die sich farbenprächtig vom hellen Sand abhoben.
Am Sonntag hatte Baba eine Überraschung für mich. Er machte für einen Tag das Restaurant zu – eine Seltenheit – und fuhr mit mir zum Aquarium in Monterey. Er war aufgeregt und redete während der ganzen Fahrt. Wir würden uns prächtig amüsieren, sagte er. Er sei sehr gespannt, vor allem auf die Haie. Was würden wir zu Mittag essen? Während er redete, dachte ich daran, dass er früher oft mit mir in den Zoo im Kelley Park und den benachbarten Japanischen Garten gegangen war, um die Koi-Karpfen anzuschauen. Wir hatten jedem einen Namen gegeben, und ich klammerte mich an seine Hand und dachte, dass ich, solange ich lebte, nur ihn bräuchte, niemanden sonst.
Wir schlenderten durch das Aquarium, und ich gab mir größte Mühe, Babas Fragen nach den verschiedenen Fischarten zu beantworten. Aber es war zu hell und zu laut, und vor den Becken mit den spannendsten Fischen standen zu viele Menschen. All das entsprach in keiner Weise dem Bild, das ich mir von dem Schulausflug gemacht hatte. Es strengte mich furchtbar an, so zu tun, als würde ich mich amüsieren. Ich spürte, dass ich Bauchschmerzen bekam, und nach einer guten Stunde brachen wir auf. Während der Heimfahrt sah Baba mich immer wieder enttäuscht an, schien irgendetwas sagen zu wollen. Ich konnte seine Blicke spüren. Ich tat so, als würde ich schlafen.
Im nächsten Jahr, auf der Junior High, legten die Mädchen in meinem Alter Lidschatten und Lipgloss auf. Sie besuchten Boys-II-Men-Konzerte, Schulbälle oder Gruppen-Dates im Freizeitpark, kreischten in der steil bergab rasenden und um Kurven sausenden Achterbahn. Meine Klassenkameradinnen spielten Basketball oder versuchten sich als Cheerleader. Und das blasse, sommersprossige Mädchen, das in Spanisch hinter mir saß, wollte unbedingt ins Schwimmteam und fragte mich eines Tages, als wir nach dem Klingeln unsere Sachen packten, ob ich mitmachen wolle. Sie hatte ja keine Ahnung. Hätte ich in der Öffentlichkeit einen Badeanzug getragen, hätten meine Eltern einen Anfall bekommen. Aber das hätte ich sowieso nicht getan. Denn ich schämte mich für meinen Körper. Ich war oberhalb der Taille schlank, darunter aber so dick, als wäre der größte Teil meines Gewichts von der Schwerkraft nach unten gezogen worden. Ich glich den Figuren, die man bei bestimmten Spielen zusammenstellt – man legt Bilder von Körperteilen so aneinander, dass das Ergebnis möglichst grotesk und lachhaft aussieht. Meine Mutter meinte immer, ich hätte einfach einen stabilen Knochenbau. Ihre eigene Mutter, sagte sie, hätte die gleiche Figur gehabt. Irgendwann sprach sie aber nicht mehr davon, denn sie schien zu begreifen, dass das kein Kompliment war.
Ich versuchte, Baba zu überreden, mich beim Volleyball mitmachen zu lassen, aber er nahm mich nur in die Arme und schloss seine Hände sanft um meinen Kopf. Wer soll dich zum Training fahren?, fragte er. Wer zu den Spielen? Ach, ich wünschte, ich hätte mehr Freizeit, Pari, wie die Eltern deiner Freundinnen, aber deine Mutter und ich, wir müssen beide arbeiten. Ich will auf keinen Fall wieder von Sozialhilfe leben. Das verstehst du doch, mein Schatz, nicht wahr? Ich weiß, dass du das verstehst.
Obwohl Baba seinen Lebensunterhalt verdienen musste, fand er die Zeit, mich zum
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