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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Baba ein Ölgemälde mit den hohen Minaretten von Herat angebracht, das ich in der siebten Klasse gemalt hatte. Ich weiß noch, wie unglaublich stolz ich anfangs war, wenn Kunden ihr Lamm-Kabob unter meinem Bild aßen.
    Über Mittag, wenn meine Mutter und ich zwischen dem würzigen Dampf in der Küche und den Tischen hin- und herliefen, an denen Büroleute, Polizisten und Angestellte der städtischen Versorgungsbetriebe aßen, bediente Baba die Kasse. Er trug ein fleckiges Hemd, das ein Büschel grauer Brusthaare und seine kräftigen, stark behaarten Unterarme entblößte, und wenn ein Kunde hereinkam, winkte er strahlend. Guten Tag, mein Herr! Guten Tag, die Dame! Willkommen in Abe’s Kabob-Haus. Ich bin Abe. Darf ich Ihre Bestellung aufnehmen? Ich wand mich jedes Mal innerlich, weil er nicht merkte, dass er sich wie der dumme, arabische Sidekick aus einer schlechten Sitcom anhörte. Wenn ich das Essen servierte, läutete Baba immer mit der alten Messinglocke, die hinter der Kasse an der Wand hing. Ich glaube, das war anfangs nur ein Scherz, wurde irgendwann jedoch zu einem festen Ritual. Die Stammgäste waren daran gewöhnt – sie hörten es kaum noch –, und neue Gäste fassten es als Teil des exzentrischen Charmes des Restaurants auf, aber gelegentlich gab es Beschwerden.
    Du hast keine Lust mehr, die Glocke zu läuten , sagte Baba eines Abends zu mir. Das war irgendwann im Frühling meines letzten Jahres an der Highschool. Wir saßen vor dem Restaurant im Auto und warteten auf Mutter, die ihre Magentabletten drinnen vergessen hatte. Baba wirkte bedrückt. Er hatte den ganzen Tag schlechte Laune gehabt. Ein Nieselregen fiel auf die Einkaufszeile. Es war spät, und der Parkplatz war leer bis auf ein paar Auto im KFC-Drive-in und einen Pickup mit zwei rauchenden Typen darin, der vor der Reinigung stand.
    Ich fand, es hat mehr Spaß gemacht, als es noch kein Muss war , sagte ich.
    So ist es mit allem, nehme ich an . Er seufzte tief.
    Ich weiß noch, wie herrlich ich es fand, wenn Baba mich auf den Arm nahm, als ich noch klein war, und die Glocke läuten ließ. Wenn er mich wieder absetzte, strahlte ich vor Stolz.
    Baba drehte die Autoheizung auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Baltimore ist weit weg.
    Du kannst jederzeit hinfliegen , antwortete ich fröhlich.
    Jederzeit hinfliegen , wiederholte er verächtlich. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Kabobs, Pari.
    Dann komme ich eben zu euch.
    Baba sah mich lange an und verdrehte die Augen. Seine Bedrücktheit glich der Dunkelheit, die sich draußen um die Autofenster legte.
    Ich hatte einen Monat lang jeden Tag in unseren Briefkasten geschaut, und immer, wenn das Postauto in der Straße hielt, wäre mein Herz vor Hoffnung fast geplatzt. Ich holte die Post ins Haus, schloss die Augen, dachte: Vielleicht ist es jetzt so weit. Dann öffnete ich die Augen und ging die Briefe mit Coupons, Rechnungen und Lotterielosen durch. Und schließlich, am Dienstag vergangener Woche, hatte ich einen Umschlag aufgerissen und die Worte gelesen, auf die ich so lange gewartet hatte: Wir freuen uns, Sie darüber in Kenntnis setzen zu dürfen …
    Ich sprang auf. Ich jubelte laut. Stieß einen Freudenschrei aus, der mir Tränen in die Augen trieb. Und ich hatte sofort ein Bild vor Augen: Eine Vernissage in einer Galerie, ich in einem schlichten, schwarzen, eleganten Kleid, umringt von Förderern und Kritikern, deren Fragen ich lächelnd beantwortete, meine Bilder umlagert von Bewunderern, Kellner mit weißen Handschuhen, die überall servierten, Wein ausschenkten und Häppchen mit Lachs und Dill oder kleine Spargelpasteten anboten. Ich erlebte einen jener Euphorieanfälle, bei denen man am liebsten einen Fremden umarmen und wild mit ihm herumtanzen würde.
    Ich mache mir auch Sorgen um deine Mutter , sagte Baba.
    Ich rufe jeden Abend an. Versprochen. Du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst.
    Baba nickte. Eine Windböe fuhr durch das Laub der Ahornbäume am Eingang der Einkaufszeile.
    Hast du noch einmal über das nachgedacht , fragte er, worüber wir neulich gesprochen haben?
    Du meinst das Junior College?
    Nur für ein Jahr, vielleicht auch zwei. Dann hätte sie Zeit, sich daran zu gewöhnen. Danach könntest du dich noch einmal bewerben.
    Ich spürte, wie ich wütend wurde. Baba. Diese Leute haben sich meine Noten und meine Mappe angeschaut, und sie finden meine Arbeiten so gut, dass sie mich nicht nur als Studentin haben wollen, sondern mir auch noch ein

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