Traumsammler: Roman (German Edition)
dieser Idee ein vollkommen reines Gewissen hatte. Ich war auch fest davon überzeugt, dass sie den besten und lautersten Absichten entsprang und, obwohl sie zunächst schmerzhafte Auswirkungen hätte, langfristig zum Besten aller Beteiligten wäre. Doch ich hatte auch weniger ehrenhafte, selbstsüchtige Motive. So hoffte ich vor allem, Nila etwas geben zu können, das ihr kein anderer Mann – weder Herr Wahdati noch der Besitzer des großen, rosa Hauses – verschaffen konnte.
Ich besprach die Sache zuerst mit Saboor. Und ich muss zu meiner Verteidigung sagen, dass ich Saboor, anstatt ihm diesen Vorschlag zu unterbreiten, lieber Geld gegeben hätte, vorausgesetzt, er hätte es angenommen. Ich wusste, dass er Geld brauchte, denn er hatte mir von seinen Problemen bei der Arbeitssuche erzählt. Ich hätte Herrn Wahdati um einen Vorschuss auf mein Gehalt gebeten, um Saboor zu helfen, seine Familie durch den Winter zu bringen. Aber wie viele meiner Landsleute war auch Saboor schrecklich stolz. Er hätte niemals Geld von mir angenommen. Er war ein Mann, und ein Mann sorgte selbst für seine Familie. Und genau dabei starb er, noch keine vierzig Jahre alt – er brach während der Zuckerrübenernte auf einem Feld in der Nähe von Baghlang zusammen. Bei seinem Tod hielt er angeblich noch die Sichel in den schwieligen, blutigen Händen.
Ich habe keine Kinder und will deshalb gar nicht erst so tun, als hätte ich ermessen können, wie quälend die Entscheidung für Saboor gewesen sein muss. Ich war auch nicht bei den Diskussionen der Wahdatis zugegen. Nachdem ich Nila von meiner Idee erzählt hatte, bat ich sie, diese gegenüber Herrn Wahdati als ihre eigene auszugeben. Ich wusste, dass Herr Wahdati sich dagegen sträuben würde. Er hatte, soweit ich wusste, niemals auch nur den geringsten väterlichen Instinkt gezeigt. Ich fragte mich sogar, ob ihn nicht zuletzt Nilas Unfähigkeit, Kinder zu gebären, zur Heirat bewogen hatte. Zwischen beiden herrschte jedenfalls eine angespannte Stimmung, und ich hielt Abstand. Wenn ich mich abends zum Schlafen niederlegte, hatte ich jedes Mal die Tränen vor Augen, die Nila geweint hatte, als ich ihr von meiner Idee erzählt hatte, erinnerte mich daran, wie sie meine Hände ergriffen und mich dankbar und – ohne Zweifel – mit einer Spur von Liebe angeschaut hatte. Ich dachte die ganze Zeit daran, dass ich ihr ein Geschenk in Aussicht stellte, das ihr nicht einmal reiche, mächtige Männer machen konnten. Ich dachte ständig daran, dass ich mich ihr mit Haut und Haaren verschrieben hatte, und das auch noch von Herzen gern. Und ich dachte, hoffte, wider jede Vernunft, dass sie irgendwann mehr in mir sehen würde als nur den treuen Diener.
Als Herr Wahdati schließlich nachgab – was mich nicht erstaunte, weil Nila eine Frau mit außerordentlich starkem Willen war –, teilte ich dies Saboor mit und bot an, ihn und Pari nach Kabul zu bringen. Ich habe nie ganz verstanden, warum er den Weg lieber zu Fuß zurücklegen wollte. Oder Abdullah erlaubte, sie zu begleiten. Vielleicht wollte er die Zeit, die ihm noch mit Pari verblieb, ein wenig strecken. Vielleicht wollte er durch die beschwerliche Reise Buße tun. Vielleicht war es auch sein Stolz, der es ihm verbot, sich in das Auto jenes Mannes zu setzen, der seine Tochter verkaufte. Schließlich kamen sie in Kabul an, alle drei von Kopf bis Fuß voller Staub, und warteten wie vereinbart vor der Moschee. Während der Fahrt zum Haus der Wahdatis versuchte ich, so fröhlich wie möglich zu sein, wegen der Kinder, die nichts von ihrem Schicksal ahnten – und auch nichts von der schrecklichen Szene, die sich bald zutragen sollte.
Es wäre wenig sinnvoll, Ihnen diese Szene, die sich ganz genauso abspielte wie von mir befürchtet, in allen Einzelheiten zu schildern, Mr Markos. Aber mein Herz krampft sich jetzt, nach all den Jahren, noch immer zusammen, wenn mich die Erinnerung daran überkommt. Wie auch sonst? Ich riss zwei hilflose Kinder auseinander, die durch eine Liebe der reinsten und wahrhaftigsten Art miteinander verbunden waren. Den plötzlichen emotionalen Aufruhr werde ich nie vergessen. Die über meiner Schulter liegende Pari strampelte panisch mit den Beinen und kreischte: Abollah, Abollah! , während ich sie fortschaffte. Abdullah schrie den Namen seiner Schwester und versuchte, sich an seinem Vater vorbeizudrängeln. Nila hielt sich mit weit aufgerissenen Augen die Hand vor den Mund, als wollte sie ihren eigenen Schrei ersticken.
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