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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Sie sich also nicht als Afghanin?
    NW
Sagen wir so, ich habe mich von meiner schlechteren Hälfte scheiden lassen.
    EB
Sie machen mich neugierig. Warum?
    NW
Wenn er Erfolg gehabt hätte – König Amanullah, meine ich –, hätte ich Ihre Frage vielleicht anders beantwortet.
    Ich bitte um eine Erklärung.
    NW
Nun, ja – eines schönen Morgens verkündete der König, das Land zu einer neuen, aufgeklärteren Nation umformen zu wollen, notfalls gegen alle Widerstände. Bei Gott! Er forderte zum Beispiel, dass man als Frau keinen Schleier mehr tragen sollte. Stellen Sie sich vor, Monsieur Boustouler: Man verhaftet eine Afghanin, weil sie eine Burka trägt! Und seine Frau, Königin Soraya, zeigt sich mit unverhülltem Gesicht in der Öffentlichkeit? O là là. Da schnappten die Mullahs nach so viel Luft, dass man damit tausend Zeppeline hätte füllen können. Er verlangte auch die Abschaffung der Polygamie! Und das in einem Land, dessen Könige Legionen von Konkubinen gehabt und die allermeisten ihrer unehelichen Kinder nie zu Gesicht bekommen haben. Von nun an, so verfügte er, dürfe keine Frau mehr zur Heirat gezwungen werden. Schluss mit dem Brautpreis, tapfere Frauen Afghanistans, Schluss mit der Kinderehe, und vor allem: Ihr werdet alle zur Schule gehen.
    EB
Er war also ein Visionär.
    NW
Oder ein Dummkopf. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass beides sehr nah beieinanderliegt.
    EB
Was geschah dann?
    NW
Die Antwort ist ebenso betrüblich wie absehbar, Monsieur Boustouler: Dann kam der Dschihad. Die Mullahs und Stammesführer erklärten ihm den Heiligen Krieg. Stellen Sie sich Tausende zum Himmel gereckte Fäuste vor! Der König hatte die Erde beben lassen, aber er war von einem Ozean religiöser Eiferer umgeben, und Sie wissen sicher, was passiert, wenn der Meeresboden bebt, Monsieur Boustouler. Ein Tsunami aus bärtigen Rebellen schlug über dem armen König zusammen und spülte ihn weg, ohne dass er sich hätte wehren können, riss ihn zuerst nach Indien, dann nach Italien und schließlich in die Schweiz, wo er sich mühsam aus dem Schlamm erhob und als alter, desillusionierter Mann im Exil verstarb.
    EB
Und wie sah das Land danach aus? Ich nehme an, dass es nicht nach Ihrem Geschmack war?
    NW
Umgekehrt genauso.
    EB
Deshalb sind sie 1955 nach Frankreich gegangen.
    NW
Ich bin nach Frankreich gegangen, um meine Tochter vor einem bestimmten Leben zu bewahren.
    EB
Wie hätte dieses Leben ausgesehen?
    NW
Ich wollte verhindern, dass man sie gegen ihren Willen und wider ihre Natur zu einer jener traurigen, braven Frauen macht, die ihr Leben in stillem Dienen verbringen, immer geplagt von der Furcht, etwas Falsches zu sagen oder zu tun. Frauen, die im Westen, auch hier in Frankreich, aufgrund ihres entbehrungsreichen Daseins zu Heldinnen verklärt und aus der Ferne von Menschen bewundert werden, die es keinen Tag an ihrer Stelle aushalten würden. Frauen, deren Sehnsüchte erstickt und deren Träume zunichtegemacht werden, die jedoch, wenn man ihnen begegnet – und das ist das Schlimmste, Monsieur Boustouler –, lächelnd vorgeben, vollkommen zufrieden zu sein. Ein Leben zu führen, um das sie jeder beneiden müsste. Aber wenn man genauer hinsieht, bemerkt man die Ohnmacht und die Verzweiflung, die ihre vorgetäuschte Fröhlichkeit Lügen strafen. Und das ist erbärmlich, Monsieur Boustouler. Das wollte ich meiner Tochter nicht zumuten.
    EB
Ich nehme an, Ihre Tochter hat Ihre Beweggründe verstanden?
    Sie zündet sich noch eine Zigarette an.
    NW
Tja. Kinder erfüllen nie ganz die Hoffnungen, die man in sie gesetzt hat, Monsieur Boustouler.
    * * *
    Eine mürrische Krankenschwester befiehlt Pari in der Notaufnahme, am Empfangsschalter zu warten. Davor steht ein mit Klemmbrettern und Krankenakten beladener Rollwagen. Pari kann kaum glauben, dass es Menschen gibt, die während ihrer Jugend einen Beruf erlernen, der sie an einen solchen Ort bringt. Sie begreift das nicht einmal ansatzweise. Sie verabscheut Krankenhäuser. Der Anblick kranker Menschen widert sie an, der unangenehme Geruch, die quietschenden Rolltragen, die Flure mit den langweiligen Bildern, die ständigen Durchsagen.
    Dr. Delaunay ist jünger, als Pari vermutet hat. Er hat eine schmale Nase, dünne Lippen und kurze, blonde Locken. Er führt sie durch die Schwingtür, geht mir ihr aus der Notaufnahme in die Haupthalle.
    »Als Ihre Mutter hier eintraf, war sie sehr betrunken«, sagt er in vertraulichem Ton. »Das scheint Sie nicht zu

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