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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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schließlich für ein pastellblaues Kleid mit schmaler Taille, Abendhandschuhe und Stilettos entschieden. Noch im Aufzug hatte sie gefragt: »Sieht es auch nicht zu sehr nach Jackie aus? Was meinst du?«
    Sie rauchten vor dem Essen, alle drei, und ihre Maman und Julien tranken Bier. Julien bestellte eine zweite und dritte Runde. Er trug einen karierten Blazer zu Krawatte und weißem Hemd und zeigte die höflichen, kontrollierten Manieren eines wohlerzogenen Mannes. Er lächelte gern und lachte bereitwillig. Sein Haar begann, an den Schläfen zu ergrauen, was Pari in der Notaufnahme aufgrund des schlechten Lichts nicht aufgefallen war, und sie hielt ihn für ungefähr gleich alt wie ihre Mutter. Er wirkte sehr weltgewandt und redete länger über De Gaulles Veto gegen den Eintritt Großbritanniens in die Europäische Gemeinschaft, was zu Paris Überraschung aus seinem Mund beinahe spannend klang. Erst auf Nachfrage ihrer Maman gestand er, seit kurzem an der Sorbonne Wirtschaftstheorie zu lehren.
    »Ein Professor? Wie glamourös.«
    »Wohl kaum«, erwiderte er. »Sie sollten mal eine Vorlesung besuchen. Dann wären Sie rasch kuriert.«
    »Vielleicht tue ich das sogar.«
    Pari merkte, dass ihre Maman schon einen Schwips hatte.
    »Vielleicht höre ich eines Tages heimlich zu. Und beobachte Sie in Aktion.«
    »In Aktion? Sie vergessen, dass ich Wirtschaftstheorie lehre, Nila. Wenn Sie kommen, werden Sie feststellen, dass meine Studenten mich für einen Trottel halten.«
    »Das bezweifele ich.«
    Pari glaubte ihm auch nicht, denn er wurde ganz sicher von vielen Studentinnen begehrt. Sie achtete während des Essens darauf, ihn immer nur heimlich anzuschauen. Sein Gesicht schien einem alten Film Noir zu entstammen – man hätte es in Schwarzweiß bannen müssen, mit dem horizontal darauf fallenden Schattenraster einer Jalousie und senkrecht aufsteigendem Zigarettenrauch. Dazu die auf seine Stirn fallende, geschwungene Haarsträhne – sie schien nicht ganz zufällig dort zu liegen, denn sie wirkte etwas zu elegant, und er strich sie nie weg.
    Paris Maman führte eine kleine Buchhandlung auf der anderen Seite der Seine, jenseits der Pont d’Arcole, und Julien erkundigte sich danach.
    »Haben Sie auch Bücher über Jazz?«
    » Bah oui «, antwortete ihre Mutter.
    Draußen schüttete es wie aus Kübeln, und im Bistro wurde es lauter. Nachdem der Kellner Käsegebäck und Schinken-Brochettes serviert hatte, entspann sich zwischen Julien und Paris Maman eine Unterhaltung über Bud Powell, Sonny Stitt, Dizzy Gillespie und Juliens Lieblingsmusiker, Charlie Parker. Ihre Maman sagte, dass sie den Westküsten-Stil von Chet Baker und Miles Davis bevorzuge. Ob er das Album Kind of Blue kenne? Pari war überrascht, dass ihre Maman eine so große Jazz-Liebhaberin war und sich so gut mit so vielen Musikern auskannte. Sie empfand nicht zum ersten Mal eine kindliche Bewunderung, in die sich das Gefühl mischte, ihre Mutter weder richtig zu kennen noch ganz zu durchschauen. Dass sie Julien so mühelos zu verführen vermochte, war dagegen keine Überraschung. Da war sie in ihrem Element. Sie zog die Blicke der Männer magisch an, wickelte sie um den kleinen Finger.
    Pari sah, wie ihre Maman schelmisch flüsterte, über Juliens Witze lachte, den Kopf zur Seite legte, versonnen eine Locke um den Finger zwirbelte. Sie staunte wieder über die Jugend und Schönheit ihrer nur zwanzig Jahre älteren Maman. Über die langen, dunklen Haare, die schöne Brust, die bezaubernden Augen, die fast einschüchternd klassischen, majestätischen Gesichtszüge. Pari fragte sich, warum sie ihrer Maman nicht ähnlicher sah. Sie selbst hatte matte, ernst dreinschauende Augen, ihre Brust war klein, ihre Nase lang, und wenn sie lächelte, sah man die Lücken zwischen ihren Zähnen. Wenn sie so etwas wie Schönheit überhaupt besaß, war diese bescheidener und bodenständiger. In Gegenwart ihrer Maman war Pari sich stets bewusst, dass sie aus einem ungleich groberen Stoff gemacht war, und sie wurde von ihrer Maman gelegentlich daran erinnert, wenn auch nur durch die Blume.  
    So sagte diese zum Beispiel: Sei froh, Pari. Du hast es viel leichter, von den Männern ernst genommen zu werden. Sie werden dir zuhören. Zu viel Schönheit verdirbt alles. Dann lachte sie. Nun, ja – ich behaupte nicht, aus Erfahrung zu sprechen. Natürlich nicht. Nein, es ist nur eine Beobachtung.
    Du meinst, ich bin nicht schön.
    Ich meine, dass das gar nicht erstrebenswert ist.

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